Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klausen

Klausen

Titel: Klausen
Autoren: Andreas Maier
Vom Netzwerk:
Zeitlang hieß es, er sei in Deutschland Lehrer geworden oder Sozialarbeiter. Woher diese Gerüchte stammten, wußte man nicht. Weder hatte Gasser das zweite Staatsexamen noch ein Diplom für irgendeine soziale Beschäftigung, letztere war für die meisten bei ihm nicht einmal vorstellbar. Nach einiger Zeit stellte sich heraus, daß er im Grunde gar nichts tat. Er arbeitete eine Weile in einer Gastwirtschaft in Villanders, dann half er einem Bauern in Villanders, eine Scheune zu errichten, aber das waren alles nur kurzfristige Tätigkeiten,nichts, was den Klausnern hätte als ordentlicher Broterwerb gelten können. Wenn man ein Wort dafür finden möchte, wie Gasser zu der Zeit den Klausnern erschien: als fleißiger Nichtsnutz. Zudem wurde gesagt, daß er damals einen sehr überheblichen Eindruck machte, er verstrickte die Leute in Gespräche, die niemand gerne führte, er deduzierte an seinen Unterrednern Handlungsgründe für alles und jedes und stellte sie damit bloß. Er konnte einem, hieß es, sogar das Essen madig machen, vor dem man saß, man erzählte das mit besonderem Hinweis auf den Kalbskopf, den er im Unterwirt stehengelassen haben soll, denn wie gesagt wurde dieses Stehenlassen ja sogleich politisch und fast extremistisch ausgelegt. Eigenartigerweise begann Gasser dann tatsächlich eine sogenannte ordentliche Arbeit, und zwar im Fremdenverkehrsverein. Manche versicherten, daß diese Beschäftigung im Fremdenverkehrsverein für Gasser von vornherein eine subversive Komponente gehabt habe, zumal auch später behauptet wurde, daß die Gespräche, die er in den Wirtschaften führte, jetzt immer politischer und auch aggressiver geworden seien. Aber wie gesagt, der Eindruck, den Gasser in Klausen hinterlassen hatte, radikalisierte sich nach den Vorfällen im Gerede der Leute von Tag zu Tag. Und was die Klausner mit subversive Komponente meinten, das konnte viel bedeuten. Es gab auch eine ganze Anzahl von Klausnern, auf die Gasser damals einen für seine Verhältnisse normalen Eindruck machte, er schien ihnen allerdings etwas nervöser und stiller alssonst, fast verschwiegen, aber keinesfalls aggressiv. So wurde alles, was gesagt wurde, immer alsbald in sein Gegenteil verdreht, mit fast gesetzmäßiger Notwendigkeit. Etwa in den Tagen, da Gasser in Feldthurns gewesen sein soll und die alte Unterwirtin ihren berühmten Zettel in Sankt Laurentius aufgehängt haben will, stattete Gasser seiner Mutter einen seiner seltenen Besuche ab. Später kam auch seine Schwester noch dazu, Katharina Gasser, und da eine nervöse Stimmung herrschte, zählte man alle möglichen Dinge auf, über die man in Streit geraten kann. Schon vor Katis Ankunft war Gasser gereizt. Seine Mutter saß auf einem Stuhl, auf dem sie neuerdings immer saß, einem besonders heruntergekommenen und alten Stuhl, an dem sie aus irgendwelchen Gründen seit einiger Zeit einen Narren gefressen hatte. Der Stuhl hatte kaum noch ein Sitzpolster, es war der heruntergekommenste Stuhl in der ganzen Wohnung, aber sie saß darauf, als wollte sie damit irgend etwas demonstrieren, irgend etwas ganz Bestimmtes, dessen war sich Gasser sicher. Er selbst saß auf der Couch. Immer wieder schaute er sich um, geradezu zwanghaft, denn er war sehr nervös, obgleich ihm das nicht bewußt war. Er fühlte sich beklommen durch die Enge des Raums, und jeder der Gegenstände darin war ihm viel zu bekannt. Überhaupt hatte alles hier eine viel zu große Verbundenheit mit ihm. Wenn Gasser etwa die Lampe seiner Eltern betrachtete, eine unförmige Schirmlampe, die seit fünfundzwanzig Jahren auf dem kleinen Tisch neben der Couch stand, dann wares ihm, als schlüge man ihm mit einem Hammer auf den Kopf, und zwar jedesmal, wenn er hinschaute. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hinausgelaufen, aber er saß einfach nur da und trank mit seiner Mutter Tee. Später dann trank er Rotwein, erst ein Glas, dann noch eins, und schließlich noch eins, obgleich er an diesem Tag fast nichts gegessen hatte (er hatte es völlig vergessen). Währenddessen nahm seine Mutter immer wieder eines der Magazine, die auf dem Tisch lagen, und blätterte es durch. Das quälte Gasser besonders. Irgendwann sprang er auf, begann durch das Zimmer zu laufen und rief, sie solle aufhören, diese Magazine durchzublättern, das mache ihn verrückt, was sie denn überhaupt daran interessiere? Er nahm ihr das Magazin aus der Hand. Auf dem Titelbild war die Fürstin von Monaco zu sehen. Seine Mutter schaute ihn erstaunt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher