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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen
Autoren: Reinhard Febel
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unternehmen!«
    »Ach nein«, winkte Domingo ab. »Ich bastele an meinen Sonaten. Brauche niemanden. Es hat sich vieles angesammelt, das darauf wartet, festgehalten zu werden.«
    »Das müsst Ihr auch tun«, sagte Japón, der bisher geschwiegen hatte. »Ihr seid ein großer Künstler, das weiß ich jetzt, und zwar spätestens seit Eurer Palastmusik. Hatte noch nie zuvor etwas Ähnliches gehört.«
    »Ja, o ja! Das ist er in der Tat!«, rief Montoya aus vollem Herzen.
    Domingo winkte bescheiden ab; doch nicht wirklich aus Bescheidenheit tat er dies – vielmehr war er sich seiner Größe durchaus nicht sicher. Alles Lob aber nützt nichts, gar nichts, wenn man selbst an sich zweifelt; und zwar nicht lediglich an seinem Werk – denn dieses ließe sich ja immer hier und dort mit ein paar Tuschepunkten verbessern –, nein, an der eigenen Person letzter Essenz, an deren Daseinsberechtigung.
    Blitzartig sah er seinen Vater über sich, wie in der Kindheit, stehend, ein Notenblatt des Schülers und zugleich Sohnes in der Hand, lächelnd, doch mit spöttisch verkrümmter Lippe, er, der souveräne, erfolgreiche Opernkomponist, er, der Schwätzer und Besserwisser. Escarlati blickte von unten auf das Notenblatt und sah seine eigene Schrift spiegelverkehrt hindurchscheinen.
    Alles war klar: warum es so gekommen war, warum er hatte fliehen müssen – und doch änderte diese Erkenntnis nichts.
    Moment. Spöttisch – täuschte da nicht die Kindheitserinnerung? O nein, so war Papa. So und nicht anders.
    »Festhalten?«, murmelte Montoya, der immer noch darüber nachgrübelte, was Escarlati über seine Sonaten gesagt hatte.
    Er griff probeweise nach seinem Glas. »Festhalten … kann man Gegenstände, doch Ideen, Gedanken, den Gesang?«
    Zum ersten Mal dachte er darüber nach, woher eigentlich seine eigene Musik kam – aus derselben Quelle doch wohl? –, denn er war noch immer am Staunen über ihrer beider Musizieren, darüber, wie seine und des Freundes Klänge zu einem Ganzen verschmelzen konnten, obwohl sie doch auf so unterschiedliche Weise zustande kamen.
    »Festhalten – loslassen!«, rief er. »Wir gehen grundverschiedene Wege, Domingo, und erreichen doch dasselbe. Ist das nicht eigenartig?«
    »Wie meinst du das?«
    »Festhalten – loslassen. Ausdenken – lauschen. Entwerfen – zulassen. Ich, ich habe nicht die geringste Ahnung, woher mein Gesang kommt, du aber hast alles gelernt, kannst alles erklären, die Abstände der Töne, die Leitern, die Pausen und Takte …«
    »Vielleicht habe auch ich keine Ahnung, woher letztendlich …«, murmelte Escarlati, doch Montoya hörte nicht zu. »… ja, all das hast du gelernt. Du hast dein Wissen aus der Schule und ich … aus dem Leben.«
    »Das ist vielleicht etwas platt ausgedrückt«, wagte Japón einzuwerfen.
    »Ja, so ist es«, fuhr Montoya fort. »Du baust – ihr lebt gerne in Häusern, nicht wahr? –, ich jage , wohne draußen in der freien Natur …«
    »Gegen ein Dach über dem Kopf hast auch du ab und zu nichts einzuwenden, besonders, wenn es so aussieht«, widersprach Japón und zeigte auf die schinkenverhangene Decke. Escarlati lachte, und Montoya musste grinsen.
    »Jajaja. Hast recht. Trotzdem, immer und überall müsst ihr Türme bauen, die Berge selbst aber besteigt ihr nicht – hast du je darüber nachgedacht, mein Freund Domingo?«
    »Habe ich wohl.«
    »Was ist denn mit der Sierra Nevada, dem weiß gepuderten Bergrücken in der Ferne über Granada, wer war dort oben außer Hexen und Geistern? – Ihr seid zu fett, kommt außer Atem, und überhaupt, es wäre ja Sünde! Doch immer frisch Steine hinaufgewuchtet, hinauf, hier eine Giralda, dort eine Giralda, Brocken in die Höhe wälzen wie der alte Sisyphos …«
    »Ihr? Wer ist ihr? «
    »Ihr … Musterchristen … und stürzt nicht letztendlich doch alles wieder herab? Rollen die Steine nicht in der Ebene aus, kippen ein letztes Mal zurecht und schlafen, wenigstens so lange, bis Sisyphos sie wieder aufweckt und – wieder und wieder vergeblich – zum Gipfel rollt? Er lernt recht wenig dazu im Laufe der Zeit, euer Held, findest du nicht? Du selbst hast mir von ihm erzählt.«
    »Nun ja, das ist eine alte Sage, aber …«
    »Doch andererseits«, dachte Montoya laut, »sinken nicht auch meine Melodien immer wieder in sich zusammen – so wie wir, nach durchzechter oder durchtanzter Nacht? Ja, mir gefällt es so!«
    »Eine entgegengesetzte Richtung mag das schon sein, deine Kunst«, sagte Escarlati. »Das
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