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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen
Autoren: Reinhard Febel
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stürzte den Wein hinunter.
    »Was glaubt ihr wohl«, ging Escarlati weiter seinen Gedanken nach, »was Seine Majestät, dieses seltsame, im Finstern lebende, bleiche Wesen, an einem Tag so alles unterschreibt?«
    »Todesurteile werden auch darunter sein«, sagte Japón.
    »Nicht zu knapp. Da wird eine goldverzierte Ledermappe hergebracht, ein Diener legt sie dem Herrscher vor, auf einem silbernen Tablett wie einen Braten – o wie gut der Vergleich doch passt! Es wird mir dies erst klar, indem ich ihn ausspreche: Braten! – Und wenn in besagter Mappe dein Name auf dem falschen Zettel geschrieben steht, dann …«
    Er fuhr mit der Rechten waagrecht an der Gurgel entlang.
    »Was könntest du dagegen unternehmen?«, seufzte Montoya.
    »Soll ich euch also sagen, was das wirklich für Menschen sind?«, nahm Escarlati den Faden wieder auf. »Einen winzigen, gänzlich unbedeutenden Vorfall erzählen? Ja? Gut.«
    Er atmete geräuschvoll durch die Nase ein, als habe er einen leichten Schnupfen oder röche einen beißenden Geruch.
    »Als ich die letzte Lust verlor, dort am Hof in Lisboa«, begann er, »da war eigentlich nur eine Kleinigkeit geschehen, wie ein einziger Missklang in einem Konzert, das sowieso auf schrecklichen Instrumenten gespielt wird, nichts Besonderes also. Und doch war es, als lege sich auf einmal ein Hebel um, schließe sich ein schweres Schloss mit einem Knall für immer. Und keiner Stunde am Hof konnte ich mich mehr wirklich freuen, lebte fortan im Schatten einer Sonnenfinsternis, die sich nicht mehr verzog, da die Sonne, hinter dem Mond angelangt, mit einem Ruck stillstand und nimmermehr hervorkam.
    In diesem Augenblick erkannte ich auch die Unmöglichkeit, ja Lächerlichkeit, historische Opern über diesen oder jenen Herrscher zu komponieren, denn immer ist Mord und Töten im Spiel – im Spiel, hört ihr die Dissonanz der Worte? Ja, Musik, die spielt man, doch die Wirklichkeit ist kein Theaterstück und auch keine Oper.
    Nun gut, das Problem der Oper hatte ich für mich sowieso schon gelöst, indem ich die Noten ins Meer warf, aus einem anderen Grund zwar, denn ich hatte erkannt, dass sie nicht gut genug waren, um für das Publikum wirklich von Bedeutung zu sein. Doch dies ist eine persönliche und gänzlich unwichtige Angelegenheit …
    Ja, das, worüber ich niemals rede und weswegen ich den Geruch gegrillten Fleisches nicht mehr ertrage, das habe ich einmal mit angesehen. Mit ansehen dürfen oder müssen, diesbezüglich gehen die Meinungen am Hof zwar auseinander, doch für die meisten gilt wohl Ersteres. Für mich aber nicht.
    Ich rede vom Autodafé. Nun werde ich euch nicht erzählen, was genau ich da gesehen habe …«
    »Bin einmal selbst dabei gewesen. Nicht als Hauptperson zum Glück«, sagte Curro, und sein Rausch war wie weggeblasen, als er sich erinnerte.
    »Ich auch«, flüsterte Japón kaum hörbar.
    »Gut – das heißt natürlich: schlecht«, fuhr Domingo fort. »Doch so muss ich euch die Einzelheiten gar nicht schildern, denn ihr kennt sie selbst.«
    »Lieber nicht«, stimmte Montoya zu.
    » Vor dem Ereignis aber trug sich Folgendes zu: Am Vorabend hatte man den König, also João V. – wie ihr wisst, der Vater unserer Prinzessin –, wie an jedem Abend über die Termine und Pflichten des folgenden Tages aufgeklärt: zu unterzeichnende Urkunden und Verträge, Audienzen, Besprechungen und so fort, denn Potentaten sind viel beschäftigte Männer. Und der König sagte mittendrin: ›Morgen haben wir doch auch – endlich wieder einmal – einen schönen Stierkampf, nicht wahr?‹ Woraufhin ihn der Sekretär korrigierte: ›Nein, Majestät, ein Autodafé.‹ Und der König wiederum sagte: ›Ach ja, natürlich, das hatte ich verwechselt.‹ Er hat es verwechselt, versteht ihr? Das Braten eines Menschen, das Abstechen eines Stieres, Majestät hat es verwechselt…«
    »So sind sie, die Oberen«, sagte Montoya nach einem tiefen Atemzug.
    »Ja, so sind sie.«
    Es war dunkel geworden, und der Wirt hatte einige Kerzen und Öllichter angezündet. Die Weingläser zitterten im Gleichklang mit den Flämmchen und warfen komplexe Schattenfelder; die Dochte standen unbeweglich in den Flammen wie schwarze Spalte.
    Wie kleine Männchen auf winzigen Scheiterhaufen, dachte Escarlati. Man schaut gerne zu.
    Der Fußboden hatte sich, vielleicht ob Escarlatis bevorstehender Reise, in das schwankende Deck eines Schiffes oder in einen Eselsrücken verwandelt. Domingo hielt sich am Tresen fest, um nicht
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