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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen
Autoren: Reinhard Febel
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gepennt und hat, nachdem wir das Nadelöhr der alten Griechen passiert haben, Gibraltar oder die Säulen des Herkules, vergessen, den Faden festzuziehen, und wir befinden uns schon vor den Küsten der Neuen Welt. Übrigens, die müssen damals mit Riesennadeln genäht haben – man sieht ja kaum von einem Ufer zum anderen, das heißt nach Afrika –, und so was nennt sich Nadelöhr.«
    »Menschenfresser gibt’s dort«, sagte der Dritte und deutete auf einen grünschwarzen, ausgefransten Streifen am westlichen Horizont. Das war natürlich nicht Afrika, sondern ein Fetzen der Gebiete jenseits des Flusses, der Doñana, unbewohnt. Hier jagte der König und in der unwirtlichen Sumpflandschaft fischten die Armen.
    Am entgegengesetzten Uferstreif zitterten Lichter und flackerten ein paar Feuer.
    Das ist alles?
    Das ist ja gar nichts gegen die Promenade von Napoli, deren Glut sich mit dem Vesuv sogar anlegt, gleich ihm Feuer speit, auf der Schwertfische braten und ganze Schweine, die aber auch Diademe, Silber und Edelsteine erstrahlen lässt sowie schöne Frauen in flammendem Samt und Rüschen.
    Wahrlich, eine Stadt unter dem Vulkan, immer bedroht von dem zugepfropften Schlund und auf Lava gebaut, unter den Straßen und Gärten hohl und heiß: dort, unter dröhnendem Schritt die Unterwelt oder gar die Hölle?
    Und hier? Provinz. Flaches, finsteres Land, flacher noch als das Meer.
    »Vielleicht ein Lager von Gitanos«, sagte der dritte Reisende an der Brüstung und wies auf die Flämmchen am Ufer. »Die tanzen auch in Matsch und Regen. Immer mit der Ruhe und Geduld. Sevilla ist noch weit.« Das Schiff hatte mit dem Sturm wieder Fahrt aufgenommen. Regenströme pfiffen flach über das Wasser wie Vogelschwärme.
    »Was in aller Welt ist denn das ?«, rief der Franzose. Ein Fleck kreuzte quer zum Kurs der Galeone den Fluss. Eine Fähre? In diesem Unwetter?
    Nach einer Weile konnte Domenico Einzelheiten ausmachen. Auf einem quadratischen, aus Planken zusammengezimmerten Floß waren Flanke an Flanke zwei Stiere aufgestellt, unbeweglich wie Statuen. Zwei Männer oder Jungen standen daneben, einer auf jeder Seite, und schoben abwechselnd lange Stangen ins Wasser, als glaubten sie, bei dem Unwetter noch manövrieren zu können.
    Das Floß hatte keinen Bord und wurde immer wieder vom Wasser überspült – der quadratische Innenhof eines unsichtbaren Palastes tanzte ohne Wände durch den Fluss.
    Die Wellen waren blind und gierig, leckten an dem flachen Gefährt, brachen winkelförmig, als die fehlende Bordwand ihren Schwung ins Leere laufen ließ, und klatschten an Deck. Unerschütterlich wie aus Stein hielten die Tiere der Brandung stand.
    »Seid ihr denn wahnsinnig?«, schrie der Steuermann hinüber – und als Antwort darauf kam eigentlich nur ein Ja infrage –, doch Tiere wie Ruderer wandten lediglich gleichzeitig, wie eine einzige Spezies, die Köpfe, schwiegen und blickten dann wieder geradeaus.
    »Aus der Bahn!«, rief der Matrose am Bug – doch wie? Die Stiere verharrten bewegungslos, ihre Blicke ineinander verkreuzt in stummer Kommunikation. Unschlüssig sahen sich die Hirten um und betrachteten besorgt die Kräuselung der Wasserfläche zu ihren Füßen. Was denn (das sagten sich die zwei Tiere in ihrer eigenen, archaischen Sprache vielleicht) ist schlimmer: ersaufen oder auf der Plaza Mayor abgestochen werden? Scheinbar ehrenhaft zwar, doch dies nur für die Menschen gemäß deren feiger Regel, denn der Sieger ist immer von vornherein festgelegt, und es ist nicht der Stier, nimmermehr, es sei denn, der Töter beginge einen Fehler, was Tiere niemals tun und nicht zu tun vermögen.
    Also verlagerten sie gleichzeitig ihren Schwerpunkt auf dem Floß, so wie das Volk an Bord einer Fähre zu derjenigen Brüstung eilt, von der aus man Delfine aufspringen sieht – und kippten sich selbst und die Knechte ins Wasser hinab, als entgleite einem Kellner das übervolle Tablett.
    Das Floß kenterte sogleich mit einem Ruck, ein paar Planken brachen ab, die zwei zottigen schwarzen Rücken rutschten davon und wölbten sich wie Fische aus dem Wasser. Die Hörner der Tiere verhakten sich wie verkehrte Anker in der Luft, doch dort gab’s keinen Halt, auch nicht für die vier fuchtelnden Menschenhände. Den Flößern kippten die Ruderstangen weg, Geschrei drang herüber – jetzt plötzlich konnten sie sprechen, ja sogar brüllen. Die Knechte reckten die Hälse aus dem Wasser, strampelten ihre Sandalen los, wandten die Köpfe dem Ufer zu und
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