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Klang des Verbotenen

Klang des Verbotenen

Titel: Klang des Verbotenen
Autoren: Reinhard Febel
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Gesicht und durchtränkte Mütze und Rock.
    Das Wetter war über Nacht umgeschlagen; noch einmal hatte sich der Sommer zurückgezogen, und tiefe Wolken trieben vom Meer heran. Wieder und wieder jagten Schwaden winziger Tropfen über Stadt und Ebene.
    Der Westwind pfiff und riss an der Kleidung, doch war er gut für die Schifffahrt, und besagte Galeone mit den noch fehlenden zwei Dritteln der neuen Familie an Bord würde wie erwartet im Laufe des Tages eintreffen.
    Was tun mit den restlichen Stunden?
    Die königliche Gesellschaft war auf dem Weg nach Madrid, der Alcázar leer geräumt. Eine Prozession von Pferdewagen, Mauleseln, Kutschen, berittenen Soldaten und auch Fußvolk hatte den Palast vorigentags durch die große Pforte verlassen, ein ansehnlicher Zug, am Wegrand beweint von den Sevillanern: Warum, warum nur zieht ihr nun eine andere Stadt der unseren, doch allerschönsten der ganzen Welt vor?
    Natürlich gab es Handfesteres zu beklagen als verletzten Stolz oder verschmähte Liebe. Die Preise für Obst, Gemüse, Fleisch, Wein, Häuser und was sonst noch – was sonst noch? Naja, zum Beispiel Freudenmädchen – würden fallen; vielleicht sogar würde man in Zukunft nur noch zweitklassige Besetzungen für die Corrida bekommen – allein dies eine Katastrophe! Zugegeben, der König selbst, dieser zugereiste Franzose, schätzte den Stierkampf nicht, hatte ihn gar verbieten wollen, doch was war mit den vielen Staatsgästen, die sich nun für einen anständigen Kampf nach Madrid würden bemühen müssen – und dies über die Sierra, mit einem Tross von Lasteseln und ohne Schiffskabinen oder Kutschen? König Felipe allerdings war die Reise einerlei, er hatte sowieso begonnen, sich in seiner zwiegespaltenen Welt endgültig einzurichten: Hatte er gerade nicht zu repräsentieren und nichts zu entscheiden oder zu unterschreiben, dann sank er hinab in die Finsternis verschatteter Innenhöfe und dunkler Gemächer.
    Auch seine Überstellung nach Madrid würde im Finstern vonstatten gehen, als habe man etwas zu verbergen oder als schleuse man einen Spion durchs Land.
    Nachdem man Felipe V. in eine verdunkelte Kutsche geschoben hatte, deren Glasflächen sorgfältig mit schwarzem Samt ausgeschlagen waren – damit er, wenn müde, seine königliche Wange an ein weiches Fenster würde legen können –, da hatte er seine Königin gefragt: »Wo geht die Reise hin? Ins Grab?«, was sie als Scherz aufgefasst und zum Lächeln gebracht hatte.
    Dort seid Ihr ja schon so gut wie angelangt, hatte ihr allerdings auf der Zunge gelegen.
    Alles aus dem Palast war also zeitgleich mit seinem Besitzer abtransportiert worden, auch die Cembali, in Fuhrwagen verstaut, festgezurrt auf der Seite liegend und mit abgeschraubten Füßen.
    Beim Verladen war der Meister persönlich zugegen gewesen, und trotzdem hatten des Königs Träger die Instrumente wie Ochsenhälften auf die Karren gewuchtet, sodass Domingo in Wut geriet, was selten geschah. Die Cembali stöhnten und klirrten wie verstimmte Gitarren.
    Ein Instrument allerdings hatte gefehlt, nämlich jenes, das die Gitanos nach der Corrida auf ihren Festplatz geschleppt hatten, und es war tatsächlich – das ist doch eigentlich nicht zu glauben! – durch die Inventur geschlüpft. Niemand hatte es vermisst, zumal die Prinzessin Feuer für Cristoforis Hammerklavier gefangen und gleich mehrere dieser neuartigen Instrumente bestellt hatte.
    Wo das Cembalo wohl geblieben war?
    Was tun? Noch ein letztes Mal in der Kneipe vorbeischauen? Ein Glas Fino trinken und auf Montoya warten? Oder auf Japón, den Schlaflosen, der vielleicht eine frühe Runde machte?
    Nein, der Abschied war getan, und Escarlati spürte: Es gab kein Zurück. Würde man sich wiedersehen? Wer weiß. Spanien ist groß, und genau in seiner Mitte liegt Madrid. Und dort ging es nun erst einmal hin.
    Nein! Er beschloss, noch einmal den Platz der Gitanos aufzusuchen, den Ort, wo er die herrliche und fremde Musik des Freundes zum ersten Mal gehört hatte.
    Noch nie war er morgens in dem verfallenen Viertel gewesen, und alles sah anders aus als sonst, war in graues, diffuses Regenlicht getaucht. Die Tropfen jagten vom Himmel herab. Escarlati spürte sie auf der Nase und wischte sie weg wie Mücken.
    Die sandige Spur zwischen den Grasrändern, welche die Gasse entlang der Mauern säumten, war dunkel und weich. Kein Mensch zeigte sich, und kein Ton war zu hören.
    Nach einigen Biegungen trat Domingo auf den Platz hinaus, ein diesiges
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