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Ehre sei dem Vater (German Edition)

Ehre sei dem Vater (German Edition)

Titel: Ehre sei dem Vater (German Edition)
Autoren: Elisa May
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Die nächtlichen Saufgelage der Besatzer hatten sich längst überall
herumgesprochen. Niemand im Dorf hätte gewagt, abends die Haustüren zu
verschließen, viel zu groß war die Angst, dass die Russen aus Zorn über
verriegelte Türen ganze Häuser in Brand steckten. „Hoffentlich haben sie es diesmal
nur auf Lebensmittel und Wertgegenstände abgesehen, sonst sollen sie mir lieber
gleich das Leben nehmen.“ Diese Worte hallten in den Ohren des kleinen Jungen
nach, als er auf seinem Strohsack im hintersten Winkel des kalten Zimmers
kauerte und erfolglos versuchte, die düstere Stimmung des Tages zu verdrängen.
Er hatte seine Mutter im Gespräch mit der Nachbarin belauscht und konnte sich
nicht erklären, was noch schrecklicher sein könnte als der Verlust des Lebens. Von
Weitem hörte er den spitzen Schrei einer Frau. Seine klammen Finger krallten
sich in den rauen, unnachgiebigen Stoff, bis seine Mutter endlich ins Zimmer
schlich und ihn still in die Arme nahm. Er konnte ihren heftigen Herzschlag
spüren, und der Rosenkranz, den sie um ihre Hände gewickelt hatte, bohrte sich
schmerzvoll in seine zarte Haut. „Gott behütet uns!“, murmelte sie leise in
sein Ohr. „Niemand kann uns etwas anhaben.“
    „Warum ist Vater denn nicht da, um uns vor
diesen Männern zu beschützen?“, jammerte der Junge, obwohl er diese Frage schon
oft genug gestellt hatte und die Antwort darauf nur zu gut kannte. Ehe seine
Mutter antworten konnte, ließ sie ein dumpfes Geräusch zusammenzucken.
    Die massive Eingangstür knarrte, als sich schwere
Stiefel den Weg ins Innere des alten Bauernhauses bahnten. Die Mutter presste
dem Jungen die Hand auf den Mund. „ Pssst , keinen
Laut, ganz egal was passiert, ich bin gleich wieder bei dir!“, flüsterte sie
heiser, während sie beinahe lautlos den Raum verließ.
    Er rührte sich nicht vom Fleck und hielt sich
die Ohren zu, um die verhaltenen Aufschreie seiner Mutter nicht mehr zu hören.
„Vater, Vater, Hilfe!“ stöhnte er, während er sich, mit den Beinen wild um sich
schlagend, von einer Seite auf die andere wälzte.
    Als Franz Seidl die Augen öffnete, saß seine
Frau aufrecht neben ihm im Bett und strich mit den Fingerspitzen sanft die
ergrauten Haare aus seinem schweißnassen Gesicht.
    Schwer atmend setzte er sich auf. „Ist ja gut
mein Schatz, du hast nur wieder geträumt!“, versuchte sie ihn zu trösten, doch
es dauerte noch ein paar Minuten, bis Franz wieder vollends zu sich gekommen
war. „Nur wieder so ein Traum ….“, stieß er erleichtert und zugleich verlegen
aus. Solche Bloßstellungen seiner Verletzlichkeit beschämten ihn zutiefst. Seit
seiner Kindheit wiederholten sich diese unheilvollen Träume immer wieder und in
letzter Zeit immer häufiger. Man sollte meinen, dass die Erinnerungen mit den
Jahren an Gewicht verlieren, doch ihn schienen sie mit der Zeit immer mehr zu
erdrücken.
    Das gedämpfte Licht der Nachttischlampe
erhellte nur die dem Licht zugewandte Hälfte seines hageren Gesichtes. Die
spärliche Beleuchtung vermochte nicht über den ängstlichen Ausdruck seiner Züge
hinwegzutäuschen. Seine tagsüber zu einem exakten Seitenscheitel frisierten
Haare klebten wirr an seiner Stirn. Franz fühlte sich unwohl unter Annas
wachsamen Augen und er drehte sich zur Seite. Doch sie hatte den Blick bereits
wieder von ihm abgewandt. Flink wie ein junges Mädchen drehte sie sich zur
Seite, um gleich darauf mit beiden Beinen auf dem knarrenden Holzboden des
Schlafzimmers zu stehen. „Ich mach dir einen Pfefferminztee mit Milch und
Honig. Das tut dir ganz bestimmt gut!“, sagte sie aufmunternd und verschwand im
selben Moment in ihrem geblümten Rüschennachthemd und den warmen Fellpantoffeln
durch die Zimmertüre, ohne einen möglichen Widerspruch von ihm abzuwarten. Der
Hund, der vor der Türe gelegen hatte, nutzte die Gelegenheit und schlüpfte
durch den schmalen Türspalt, um sich wie selbstverständlich ans Bett seines
Herrchens zu legen. Franz beugte sich ungeschickt seitlich aus dem Bett und
streichelte dem treuen Tier liebevoll über das weiche Fell. „Willst mich wohl
vor bösen Träumen beschützen, was Ronny? Dagegen werden wir wohl beide nicht
ankommen!“

Als Verena Bach in ihren schwarzen, von den
salznassen Straßen verdreckten Wagen stieg, versank die Sonne hinter dem Grimming . Dieser mächtige Berg hatte schon immer eine
überwältigende Wirkung auf sie gehabt. Wie er, je nach Wetterlage, einmal
bedrohend und ein anderes Mal freundlich und
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