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Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Titel: Kindspech: Tannenbergs achter Fall
Autoren: Bernd Franzinger
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an.
    Vor Schreck blieb Tannenberg fast das Herz stehen. Auf der Innenseite des Kofferraumdeckels zeichneten sich hellrote Blutspuren ab.
     
     
    9 Uhr 15
     
    Emma weinte. Die Handknöchel waren mit Schürfwunden übersät und brannten wie Feuer. Verzweifelt hatte sie an die Decke getrommelt und sich dabei die kleinen Fäustchen blutig geschlagen.
    Es war dunkel in ihrem Gefängnis. Sie hatte Angst, große Angst. Sie spürte jede Unebenheit der Straße. Einmal bremste das Auto so scharf ab, dass sie gegen die Rückenlehne geschleudert wurde. Seitdem hatte sie Kopfschmerzen. Die Luft war heiß und stickig. Trotzdem fror sie. Sie konnte kaum mehr atmen. Sie hatte Durst, wahnsinnigen Durst.
    Das Auto blieb stehen, die Motorgeräusche verstummten. Ein Hund bellte. Im ersten Augenblick dachte Emma an Kurt, aber der hatte eine weitaus tiefere Stimme. Dann hörte sie Schritte. Der Kofferraumdeckel wurde aufgerissen. Die plötzliche Helligkeit blendete sie so stark, dass sie im ersten Moment nichts erkennen konnte. Doch dann sah sie die riesenhafte Gestalt. Der Mann beugte sich herunter zu ihr.
     
    wer bist du?
    nein, ich will nicht
    nein, nein, aua, aua
     
    »Trink, meine Süße«, flüsterte die unbekannte Männerstimme.
    Emma spürte etwas Kaltes an ihren Lippen. Reflexartig öffnete sie den Mund und trank mit hastigen Schlucken.
    Dann wurde ihr schwindelig, und sie fiel in einen tiefen Schlaf.
     
     
    9 Uhr 20
     
    Er mochte Kinder, kleine ganz besonders. Sie brachten Freude, Licht und menschliche Wärme in diese kalte Welt, verzauberten sie mit ihrem Anmut und ihrem Liebreiz. Im Gegensatz zu den Erwachsenen stellten sie für ihn die Verkörperung von Unschuld und Reinheit dar.
    Die Entführung hat wirklich tadellos geklappt. Kein Wunder: Perfektes Timing, perfekte Logistik!, lobte er sich selbst. Sollen diese doofen Bullen ruhig ihre Straßensperren aufbauen. Die bringen doch nur etwas, wenn man sich undiszipliniert verhält und panisch vom Tatort flüchtet. Aber ich flüchte ja nicht, sondern ich tuckere gemütlich nach Hause. Mit unauffälliger Geschwindigkeit befuhr er die B 270 und reihte sich nach dem Kleeblatt in den zähflüssigen Verkehr ein.
    Er parkte sein Auto in der Garage und schloss das Tor. Danach verließ er sie durch eine Tür, die direkt in einen weitläufigen Garten führte, den ein dichter Koniferenzaun einfriedete. Er trippelte die Kellertreppe hinunter und betrat den eigens für die Kindesentführung hergerichteten, etwa vierzehn Quadratmeter großen, ehemaligen Kohlenkeller. Akribisch hatte er in den letzten Wochen alles für den Aufenthalt des kleinen Mädchens vorbereitet. Das Fenster und die Tür hatte er mit Styroporplatten abgedichtet. Auf Flohmärkten der Umgebung hatte er zwei Kinderbettchen besorgt und daraus einen Gefängniskäfig gebastelt: Ein Seitenteil des zweiten Bettchens hatte er mit Kabelbindern zur Bodenplatte umfunktioniert, das andere Seitenteil diente nun als Deckel. Es war zusätzlich mit einem Fahrradschloss versehen und sorgte für einen ausbruchssicheren Verschluss des Käfigs. Eine dünne Matratze bedeckte die Gitterstäbe der Bodenplatte. Alles war perfekt arrangiert. Sogar an Windeln und Babycreme hatte er gedacht.
    Mit einem kurzen, zufriedenen Blick streifte er die Videokamera, die er über der Tür angebracht hatte. Dann ging er in sein Arbeitszimmer und überprüfte das Monitorbild: Es zeigte einen tristen Kellerraum, in dem unter einer nackten Glühbirne ein leerer, rundum vergitterter Käfig stand.
     
    9 Uhr 30
     
    Margot überbrachte zuerst ihrem Mann die schreckliche Nachricht. Anschließend schlurften die beiden Alten gramgebeugt hinüber zum Haus ihres ältesten Sohns, wo auch Emmas Eltern im Dachgeschoss wohnten. Es wurde der schwerste Gang ihres langen, gemeinsamen Lebens. Jacob hielt die ganze Zeit über Margots zitternde, eiskalte Hand.
    Vom Hof her hörten sie die fröhlichen Stimmen ihrer Familienmitglieder, die offensichtlich am Frühstückstisch saßen. Vor der Haustür begegneten sich die leeren Blicke der beiden Senioren. Die Verständigung zwischen ihnen funktionierte nach all den Jahren auch ohne Worte. Jacob nickte seufzend. Er atmete schwer, schloss kurz zu einem Stoßgebet die Augen. Dann läutete er.
    Durch das gläserne Seitenteil sahen sie Heiner, wie er sich mit zügigen Schritten der Tür näherte. Während er die Klinke nach unten drückte, sprach er über seine Schulter hinweg weiter.
    »Max, du hast ja recht: Unser Schulsystem
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