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Kinder der Dunkelheit

Kinder der Dunkelheit

Titel: Kinder der Dunkelheit
Autoren: Gabriele Ketterl
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tauchte die rotgoldene Sonne die Spitzen der eindrucksvollen Mauern der Alhambra in warmes, gelbes Licht. Mohammed genoss die Wärme des Sommerabends und den Duft der zahllosen Blüten, den der laue Wind des Südens zu ihm hinauftrug.
    Der große Park war ein einziges Meer blühender Blumen, g ehegt und liebevoll gepflegt von seiner Mutter Fathwa. Er neigte den Kopf, schloss die Augen und lauschte in den Abend hinaus. Das Plätschern der Springbrunnen vereinte sich mit dem Gesang der Vögel in den Bäumen zu einer geheimnisvollen, die Fantasie anregenden Melodie. Mohammed liebte sein Zuhause. Umso mehr beunruhigten ihn die Pläne, die sein Vater derzeit ganz offensichtlich verfolgte.
    Hatte Yussuf al Hassarin bis vor Kurzem auf Nachfragen hin noch abwiegelnd erklärt, es sei nichts, er habe nur viele Dinge, die ihm auf der Seele lägen und die der Erledigung bedurften, so waren seine Absichten seit einiger Zeit offenkundig. Yussuf plante, Andalusien zu verlassen. Jedoch wollte er das nicht alleine tun. Seine ganze Familie, alle engen Freunde sollten ihn begleiten – zu ihrem eigenen Besten, so sagte er.
    Mohammed konnte die Pläne des ansonsten von ihm geliebten und höchst geschätzten Vaters nicht verstehen. Sicherlich, wieder einmal war offener Streit ausgebrochen zwischen Mauren und Christen – wie in all den Jahren zuvor, war es auch dieses Mal wieder um Ländereien gegangen, die von den Christen als ihre eingefordert wurden. Mohammed schmunzelte. Kein Wunder, dass sie die von den Mauren zu einem blühenden Garten Eden verwandelte einstige Ödnis nun nur allzu gern selbst besitzen wollten. Aus Staub und Sand hatten sie ein arabisches Märchen geschaffen, ein Märchen, das auch die Spanier träumen ließ. Es ließ sie träumen von einem Land, das sie viel zu wenig geschätzt hatten – ein Land, das sie für wenige Goldstücke an die Mauren verkauft und sich dann damit gebrüstet hatten, dass sie Staub zu Gold verwandelt hätten. In Wirklichkeit waren es die arabischen Einwanderer gewesen, die mit ihrem umfangreichen Wissen, ihrer Baukunst und ihrem Händchen, aus jeder Erde grüne Ebenen zu zaubern, den Staub vergoldet hatten.
    Erneut glitt Mohammeds Blick hinüber zu der einzigartigen Alhambra, einem beeindruckenden Beispiel dafür, was man mit dem nötigen Wissen aus dem Nichts erschaffen konnte. Wenn er daran dachte, dass er diese ganze Pracht zurücklassen, seine Ha bseligkeiten – derer er ziemlich viele hatte – zusammenpacken und dann seine Heimat verlassen sollte, um einer ungewissen Zukunft in Marokko entgegenzusegeln, wurde ihm übel. Andalusien war seine Heimat, hier war er geboren und aufgewachsen, hier hatte er – und dies war ein Punkt, der schwer ins Gewicht fiel – die Liebe seines Lebens gefunden. Ana! Seit er die schöne Herzogin zum ersten Mal gesehen hatte, konnte er sie nicht mehr vergessen. Mohammed schwang sich auf die Brüstung und lehnte den Kopf an die glatte, kühle Marmorsäule hinter sich. Ana war eine Schönheit, sie war groß, von sehr anmutiger Gestalt, hatte langes dunkelblondes Haar, das ihr wie eine goldene Flutwelle über den Rücken fiel. Sie kam aus besten Familienverhältnissen, benahm sich aber bei Weitem nicht so hochnäsig und herrisch wie viele der anderen jungen Damen der Gesellschaft. Ana war freundlich, gebildet, großherzig und pflegte sehr liebevoll mit anderen Menschen umzugehen. Dies alles waren Attribute, die sie für ihn nur noch begehrenswerter machten. Zwar musste er sich eingestehen, dass ihm – wie sicherlich allen anderen auch – ihre Schönheit zuerst ins Auge gefallen war, doch als er sie näher kennengelernt hatte, war er endgültig verloren gewesen. Ana war nicht einfach irgendeine Frau, nein, sie war ein Engel! Ein tiefes Seufzen stieg aus seiner Kehle empor und wurde von einem leisen Lachen beantwortet.
    „Ja, dein Leben ist sicherlich hart und beschwerlich. Wenn ich dir in irgendeiner Weise Erleichterung verschaffen kann, dann bitte sprich mit mir, mein Sohn.“
    Der Unterton in der Stimme seines Vaters zeigte Mohammed allzu deutlich, dass dieser sehr wohl wusste, dass das Leben seines Sohnes nicht von wie auch immer gearteten Problemen beeinträchtigt war. Wie immer war sein Vater so leise hinter ihn getreten, dass der in Gedanken Versunkene ihn nicht gehört hatte.
    „Vater, wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht! Du warst volle zwei Tage weg! Mutter wollte niemandem sagen, wohin du so unangekündigt verschwunden bist. Wo warst du
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