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Kinder der Dunkelheit

Kinder der Dunkelheit

Titel: Kinder der Dunkelheit
Autoren: Gabriele Ketterl
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denn?“
    Mohammed stand auf und schloss seinen Vater fest in die Arme. Die kostbare Kleidung Yussuf al Hassarins war völlig staubig, und auch in den feinen Linien seines ausdrucksstarken Gesichtes hatte sich der Schmutz abgesetzt. Es schien, als ob er lange im Sattel gesessen und eine etwas weitere Reise unternommen hätte. Der Vater küsste seinen Sohn auf die Wangen und schob ihn dann liebevoll von sich.
    „Setz dich wieder hin, Mohammed, ich muss mit dir sprechen! Dazu würde ich gern auch sitzen, ich bin etwas müde.“ Er zog sich einen der geflochtenen Sessel heran, die seine Frau liebevoll mit weichen Seidenkissen ausgepolstert hatte, während Moha mmed sich wieder auf der Brüstung niederließ. Yussuf zog leicht tadelnd eine Augenbraue hoch.
    „Ach Junge, du wärest wohl besser in einer Nomadenfamilie aufgehoben. Kannst du dir nicht endlich einmal angewöhnen, so zu sitzen wie andere zivilisierte Menschen auch? Muss es immer der Boden, das Gras, eine Brüstung oder gar ein Baum sein?“
    Mohammed grinste ihn herausfordernd an. „Noch habe ich ja Zeit, erwachsen zu werden, Vater, viel Zeit. Ich kann noch mein ganzes Leben lang erwachsen sein.“
    Nur sehr kurz huschte die Andeutung eines Lächelns über Yussufs Gesicht. Rasch kehrte die besorgte, müde Miene zurück, die Mohammed zu vertreiben gehofft hatte. Sonst gelang es ihm fast immer, seinen Vater aufzuheitern, doch an diesem Tag versagte sein Charme wohl vollkommen. Heute schien etwas geschehen zu sein, was das Familienoberhaupt zutiefst beunruhigte, und es war fast so, als könne er die unangenehmen Nachrichten heute nicht abwenden. Also stieß er sich etwas widerwillig von der Brüstung ab und erfüllte den Wunsch seines Vaters, indem er sich ebenfalls einen der Sessel herbeiholte und sich Yussuf gegenüber niederließ. „Gut. Also, was ist so schlimm, dass es dir dein Lächeln geraubt hat und dich ganz offensichtlich so sehr belastet?“
    Das Lächeln, das Yussuf versuchte, misslang kläglich. Als er sprach, war seine Stimme traurig aber fest. „Mohammed, ich komme zurück von der Küste, wo ich einige Dinge endgültig geregelt habe, die ich aus Bequemlichkeit, so glaube ich, viel zu lange vor mir hergeschoben habe. Ab heute wird gepackt. Ich habe die Dienerschaft schon bei meiner Ankunft benachrichtigt. Sie haben bereits damit begonnen, Dinge, die wir nicht für das tägliche Leben benötigen, für unsere Reise zu verstauen.“
    Mohammed verstand nicht. Vielleicht wollte er auch ganz einfach nicht verstehen. „Reise? Welche Reise, Vater?“
    Auf Yussufs Stirn erschien eine tiefe Falte, die nichts Gutes verhieß. „Mohammed, ich bitte dich! Ich weiß sehr wohl, dass ich keinen Dummkopf großgezogen habe, also bitte – und ich bitte dich inständig –, stell dich nicht unwissender, als du bist! Du musst mitbekommen haben, was sich hier zusammenbraut. Die diversen Besuche des Bischofs können dir nicht entgangen sein, und glaube mir, er kam nicht wegen unseres köstlichen Mokkas oder aus Freundschaft. Wenn er es früher einmal jährlich erwähnte, dass wir zum Christentum konvertieren sollten, so ist es jetzt jede Woche. Und es sind keine wohlgemeinten Ratschläge mehr, sondern vielmehr klare Aufforderungen mit der versteckten Drohung, dass wir andernfalls mit Konsequenzen rechnen müssten.“
    „Vater, ernsthaft, das war doch schon immer so – schon immer haben die Kirchenoberhäupter uns gedroht, und doch sind wir alle noch hier! Allein du hast eine kleine Armee. Du hast über hundert Mann, die in deinen Diensten stehen. Wenn ich bedenke, dass das auf fast alle anderen Familien auch zutrifft – wovor habt ihr dann solche Angst?“
    Mit einer ruckartigen Bewegung stand Yussuf aus dem Sessel auf und begann, unruhig wie ein gefangenes Tier im Käfig, auf- und abzugehen. Mohammeds Blick folgte seinem Vater und plötzlich wurde er sich gewahr, dass er ihn schon lange nicht mehr wirklich bewusst angesehen hatte. Hätte er es getan, so wäre ihm, egal wie oberflächlich er auch manchmal sein mochte, aufgefallen, wie sehr sich der stolze Maure verändert hatte.
    Noch immer war Yussuf al Hassarin ein großer, würdevoller Mann, doch es schien, als würden Sorgen seine Schultern nach unten drücken. Sein Haar war noch immer voll und reichte ihm bis auf die Schultern, doch in den letzten Monaten war es fast ganz ergraut. Kleine Furchen, die von eben jenen Sorgen hineingegraben worden waren, die man nicht so einfach beiseiteschieben konnte,
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