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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht
Autoren: Nancy Kilpatrick
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habe. Sie langweilen mich so. Du dagegen...«
    Ihre Wut und ihre Verbitterung waren stärker als die Furcht. Sie hatte die Nase voll davon, ständig nur Pech zu haben, vom Schicksal auf sich herumtrampeln und sich jeden Mut nehmen zu lassen. Wenn das mein Ende ist, dachte sie, dann sollte es wenigstens schnell gehen. Ich habe es satt, immer nur stillzuhalten und zu leiden. Sie war zornig, und nun ging ihre Ungeduld mit ihr durch.
    Sie warf den Kopf herum und hieb ihrem Angreifer die Zähne ins Handgelenk. Erschrocken zog er die Hand weg. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck völligen Erstaunens, der jedoch sofort kalter Wut wich. Carol vergeudete keine Zeit damit, sich darüber Gedanken zu machen. Sie rannte los. Doch sie kam nicht weit, schon nach wenigen Schritten hatte er sie eingeholt. Sie schlug vornüber auf dem Asphalt auf, so hart, dass sie sich fragte, ob sie sich womöglich den Kiefer gebrochen hatte.
    Um sie herum drehte sich alles, ihr dröhnte der Schädel. »Wenn hier jemand beißt, dann bin ich das!«, hörte sie ihn sagen.
    Plötzlich packte er sie am Arm, riss sie hoch und zerrte sie aus der Sackgasse heraus und über die Straße. Es ging alles viel zu schnell, als dass sie sich wehren konnte. Auf dem mit Glas- und sonstigen Splittern übersäten Asphalt schürfte sie sich die Füße auf und erlitt zahllose kleinere Schnittwunden.
    Endlich erreichten sie die Limousine. Er öffnete den Wagenschlag, stieß sie hinein und schlug die Tür hinter ihr zu. Durch die getönte Heckscheibe sah sie, wie er sich mit großen Schritten entfernte.
    Ohne Zeit zu verlieren, rüttelte sie erst an dem einen, dann am anderen Türgriff. Keine der beiden Türen ließ sich öffnen. Verzweifelt hämmerte sie mit den Fäusten gegen die lichtundurchlässige Trennwand, um den Fahrer auf sich aufmerksam zu machen. Doch falls er da war, reagierte er nicht. Sie hob den Hörer des Autotelefons ab und probierte etliche Nummern, einschließlich der 0,911 und 999. Es war tot.
    Schließlich beruhigte sie sich so weit, dass die Abschürfungen und  Wunden an ihren Beinen und Füßen sich bemerkbar machten, des gleichen ihre angeschlagene Hüfte und der geschwollene Kiefer. Sie  fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe und schmeckte Blut.
    Ihre Schuhe und die Handtasche, die - bis auf den Pass, der sicher  im Hotelsafe verwahrt war - so ziemlich alles enthielt, womit man sie  identifizieren könnte, hatte sie verloren. In ihrer Manteltasche fand  sie ein paar Papiertaschentücher. Mit zitternden Fingern streifte sie  ihre Strumpfhose ab. Ihre Füße sahen schlimm aus. Sie säuberte sie  mit Spucke, so gut es ging, und nachdem die zahllosen Kratzer  versorgt waren, lehnte sie sich zurück und versuchte, ihre Nerven zu  beruhigen und zu überlegen, welche Möglichkeiten ihr blieben.
    Schließlich entsann sie sich einer Rolle, die sie damals im Schau spielunterricht gespielt hatte. Es war nur eine ganz kurze Szene  gewesen; aber sie hatte dafür stehende Ovationen erhalten. Wenn sie  ein bisschen improvisierte, könnte sie das sicher noch einmal hinbe kommen.

3
    Carol vernahm ein Klicken. Die Fondtür zu ihrer Rechten wurde   geöffnet, und André stieg ein. Sie rutschte auf der Sitzbank so  weit wie nur möglich von ihm weg. Er warf ihr einen flüchtigen Blick  zu. Im gedämpften Licht der Innenbeleuchtung schienen seine grauen  Augen zu glühen, und einen Moment lang stand sie erneut kurz davor,  die Fassung zu verlieren.
       Als er die Hand ausstreckte, um die Tür zu schließen, fiel das Licht  einer Straßenlaterne auf seine Finger. Sie waren schlank und ihre  Bewegungen präzise, die Nägel lang und gepflegt. Sie hörte, wie sich  die Fahrertür öffnete und wieder zugeschlagen wurde. Er nahm das  Telefon auf, tippte drei Ziffern ein und sagte etwas auf Französisch.  Kaum hatte er aufgelegt, fuhren sie los.
       Entspannt ließ er sich in die Plüschpolster sinken und streckte die   Beine aus. Sein linker Arm ruhte bequem auf der Rückenlehne. Dann  wandte er sich ihr zu. So schnell, dass Carol überhaupt keine Zeit bl ieb zu reagieren, schoss seine Hand vor, packte sie am Arm und zerrte  sie zu sich.
       Wenn er mich umbringen wollte, hätte er es vorhin in der Sackgasse  getan, versuchte sie sich zu beruhigen. Also will er mich vergewalti gen. Sie hatte gelesen, dass das beste Mittel gegen einen Vergewaltiger  darin bestand zu fliehen, sich zu wehren oder, falls nichts
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