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Kind der Nacht

Kind der Nacht

Titel: Kind der Nacht
Autoren: Nancy Kilpatrick
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diese Leere in ihr. Das Wesen in ihr schien apathisch, anscheinend hatte es sich der Hoffnungslosigkeit ergeben.
    André nahm Carols Gesicht in die Hände. Mit einem elegant manikürten Fingernagel brachte er sich einen Schnitt am Hals bei und führte ihre Lippen an den blutrot glänzenden Strom. Zunächst nahm sie nur den beißenden süßlichen Kupfergeruch wahr, dann den köstlich warmen Geschmack, seine Zusammensetzung, die harmonische Mischung seiner Bestandteile. Flüssige Energie verbreitete sich wie Quecksilber in ihrem Körper, strömte in ihre Gliedmaßen, bis in die Finger- und Zehenspitzen, füllte die Leere in ihr aus, sodass sie sich nicht mehr ganz so matt und lustlos fühlte.
    In dem Maß, in dem die Kraft in Carol zurückkehrte, schrumpfte das Wesen in ihr und verschwand schließlich ganz, und während es sich auflöste, sog es die Dunkelheit in sich ein. Das Wesen blickte Carol noch einmal aus traurigen Augen an, dann war es weg und ließ sie allein in dem Strahlen, das von Andrés Körper ausging, zurück.
    Es ist nur meine Verzweiflung, dachte sie. Mein altes Ich.
    »Michael? Hat er sich schon entschieden?«
    André schwieg einen Augenblick. »Er sagt, er will es uns gemeinsam sagen, wenn du nach oben kommst. Aber ich glaube, wir beide kennen die Antwort bereits.«
    Er sah traurig aus. »Carol, du hast mich nicht enttäuscht. Ich war niemals enttäuscht von dir. Wenn ich von jemandem enttäuscht war, dann von mir selbst. Aber das ist jetzt vorbei.«
    Er zog sie an sich. Sanft glitten seine Finger über ihre Haut und brachten etwas in ihr zum Schwingen. Seine Lippen pressten sich auf die ihren. Sie fragte sich, ob sie nicht vielleicht schon immer tot gewesen war und nun zum ersten Mal lebte.
    »Enttäuscht!«, lachte er. Es klang erstaunt und voller Schmerz. »Carol«, sagte er sanft. »Ich habe dich schon immer gewollt. Immer. Meine Geliebte, meine Freundin. Die Mutter meines Sohnes. Ich kann nur hoffen, dass du nicht enttäuscht sein wirst.«
    Sie zog ihn an sich. Als hätte sie dies schon tausendmal getan, öffneten ihre Zähne die Vene an seinem Hals. Sie drang tief in ihn ein, wie sie es in Zukunft noch oft tun sollte. Er wand sich vor Lust und Schmerz und schrie ihren Namen, während sie sein innerstes Wesen in sich aufnahm.

    - ENDE - 
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