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Ketchuprote Wolken

Ketchuprote Wolken

Titel: Ketchuprote Wolken
Autoren: Annabel Pitcher
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ist die Beerdigung, und darf ich auch mit ans Grab, und laufen die wichtigen Leute hinter dem Sarg, und gehöre ich auch dazu, oder muss ich in der Kirche warten?«
    Dad klopfte leise an meine Zimmertür.
    »Dot, Tee ist fertig«, gebärdete er.
    »Hab keinen Hunger.«
    »Es steht aber alles schon auf dem Tisch.«
    »Ich bin zu durcheinander, ich kann nichts essen. Meine Lehrerin sagt, ich habe Trauer .«
    »Dann sollte ich Mum vielleicht sagen, dass du lieber gleich ins Bett gehen solltest.«
    Dot riss entsetzt die Augen auf und flitzte sofort aus dem Zimmer. Dad seufzte.
    »Dot ist vielleicht eine Nummer.« Mein Bett knarrte, als er sich auf den Rand setzte. »Ich hab gerade mit Sandra telefoniert, Schatz. Sie hat noch mal angerufen. Ich soll dir ausrichten, dass die Beerdigung am Freitag stattfindet.«
    Ich wandte mich ab und starrte die Wand an. Dad legte mir die Hand auf den Kopf, und so verharrten wir eine Ewigkeit, und ich wünschte, er wäre jetzt auch hier und würde mir den Kopf streicheln und mir sagen, dass alles gut wird und dass ich stark sein soll, weil die Gefühle auch wieder vergehen werden. Ich will, dass sie jetzt sofort weg sind, Stu. Ich will sie nicht mehr ertragen, und ich weiß, dass es dir auch so geht, Stu, dass du auch den Schmerz und die Angst und die Traurigkeit und die Schuld und all die unzähligen Gefühle loswerden möchtest, für die es in unserer Sprache nicht einmal ein Wort gibt.
    Einen Brief muss ich noch schreiben, bevor wir aufhören können. Einen Brief über die Beerdigung und das Treffen danach und die Nachricht, dass Aaron mit einem Last-Minute-Flug nach Südamerika verschwunden ist, ohne sich von mir zu verabschieden. Und weil das der letzte Brief sein wird, sollten wir beide vielleicht etwas Besonderes machen. Ein letztes gemeinsames Essen zum Beispiel. Ich würde dann Steak und Pommes essen, und wir könnten gleichzeitig essen, du auf der einen Seite des Ozeans und ich auf der anderen, das Meer als riesiges schimmerndes blaues Tischtuch zwischen uns. Am Himmel würden Kerzen flackern, und ich würde meine Geschichte zu Ende erzählen. Dann wären wir beide zufrieden und würden die Kerzen auspusten. Du, ich, der Schuppen, die Zelle, unsere Geschichte, unsere Geheimnisse – all das würde verblassen, einen Moment in der Dunkelheit verharren wie Rauch und dann für immer verschwinden.
    In Liebe
Zoe

1 Fiction Road
Bath
    6. Mai
    Liebster Stu,
    hier bin ich wieder, wie versprochen. Ich möchte nicht, dass du glaubst, ich würde mich nicht an unsere Abmachung halten. Ganz ehrlich, ich habe dir alles erzählt. Ich habe beschrieben, wie Aarons Gesicht sich verzerrte, als er mit den anderen den Sarg hochhob. Ich habe erzählt, wie seine Hände zitterten, als er seinen Bruder trug, und wie dieser Tag zersplitterte in unzählige kleine Teile, die man nie wieder zusammenfügen konnte. Ich habe geschildert, wie ich allen Verwandten als Max’ Freundin vorgestellt wurde, und wie Aaron mich während der Feier danach nicht ein einziges Mal ansah.
    Ich habe berichtet, wie Lauren mich später an diesem Tag besuchte und mir die roten Stilettos schenkte, um mich aufzuheitern, und wie sie den ganzen Stapel Beileidskarten neben meinem Bett durchsah, und wie sie eine Karte mit der Aufschrift Von Gott zu sich genommen, weil er zu gut war für diese Welt mit den Worten kommentierte: »Zu gut für diese Welt? Ich wette, wenn Max im Himmel ist, versucht er es da mit den Engeln zu treiben.«
    Ja, ich habe dir also alles erzählt, und dann habe ich den Brief in einen Umschlag gesteckt und zugeklebt, um ihn gleich am nächsten Morgen zur Post zu bringen, damit er dich wie geplant noch vor dem 1. Mai erreicht.
    Am nächsten Tag steckte ich ihn in meine Jeans und ging zu Mum, um ihr zu sagen, dass ich einen Spaziergang machen wolle. Sie saß im Wohnzimmer und entspannte sich bei einer Tasse Tee von der Hausarbeit. Draußen regnete es in Strömen.
    »Du willst bei diesem Wetter rausgehen?«
    »Ich brauch frische Luft«, murmelte ich und gähnte, weil ich bis spätnachts im Schuppen geschrieben hatte.
    »Ist alles in Ordnung mit dir, Zoe?«, fragte Mum plötzlich in einem Tonfall, der mich regelrecht in Panik versetzte.
    »Alles in Ordnung«, antwortete ich und versuchte zu lächeln. Der Brief in meiner Jeanstasche kam mir plötzlich doppelt so schwer vor wie zuvor.
    Dot kam hereingerannt und schwenkte eine amerikanische Flagge. Sie hat nämlich ihre Königinphase beendet und will jetzt die erste
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