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Kerrion 3 - Traumwelt

Kerrion 3 - Traumwelt

Titel: Kerrion 3 - Traumwelt
Autoren: Unbekannter Autor
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gefüllt. Sie verließ den Hof und wanderte die Straße entlang. In den Gartenlokalen, die hier und da ihre Schirme aufgespannt hatten, saß niemand. Die Leute hatten die Lust am Sommer und am Draußensitzen verloren und verkrochen sich, wenn sie überhaupt in der Stadt geblieben waren, in ihren kühleren Wohnungen.
    Ina lief weiter, ohne Plan und längst nicht mehr wissend, wo sie sich befand. Sie gewann eine Anhöhe und bückte auf die ferne Innenstadt hinab, die Hochhäuser der Banken schienen von hier aus gesehen in einem Sumpf zu stecken. In einem dieser Häuser saß Hans hinter Glas, von gekühlter Luft umweht, mit Gedanken befaßt, die nicht die ihren waren. Drehte man sich um, offenbarte die scheinbar endlose Stadt endlich ihre
    Grenze. Die sanften Taunushügel lagerten sich hellgrau in einem Hitzedunst, der sie zur bloßen Silhouette, zum Pinselstrich einer japanischen Tuschezeichnung werden ließ. Wer weiter in die Richtung dieser Berge lief, würde sie freilich zunächst wieder verlieren, denn bevor man sie erreichte, war noch ein breiter Gürtel Siedlungsdickicht, Vorstadtwüstenei zu überwinden.
    Eine junge Frau kam ihr entgegen, sehr weißhäutig an den nackten Armen und Beinen, in häßlichen Shorts, schlaffem Hemdchen und mit einem strohgestrickten Hut auf dem Kopf. Sie trug ein kleines Kind auf dem Arm, ein anderes lief an ihrer Seite, in der freien Hand hielt sie einen langen, dünnen Stab, mit dem sie die Straße vorsichtig auf Hindernisse abtastete. Sie war blind, bewegte sich aber vollständig sicher und bedurfte noch nicht einmal der Hilfe der Kinder. Am Bordstein blieb sie stehen, hoch aufgerichtet, ganz aufs Hören eingestellt, das ihr das Sehen zu ersetzen hatte. Dann ließ sie den Stab wieder über den Asphalt scharren und folgte diesem Geräusch, das sie selbst hervorbrachte. Ina bestaunte die Geschicklichkeit dieser Frau, aber dann siegte der Zustand, in dem sie sich befand und der nichts Gelungenes und Geglücktes mehr gelten lassen wollte. Wie trist war die Blinde angezogen - nun, das waren viele, die sie auf ihrem Weg gesehen hatte, und aus dem Gleichgewicht mußte man deswegen nicht geraten. Aber das hier war etwas anderes, denn die Frau wußte nicht, welch entstellenden Hut sie trug, sie hatte die Farben ihrer Shorts nicht gesehen, und sie kannte auch nicht das Bild, das sie darin abgab, mit jener ausgestellten Kurzbeinigkeit und Breithüf-tigkeit, die sich mit anderen Kleidern hätte kaschieren lassen. Irgendwelche wohlmeinenden Menschen steckten die Frau in diese Sachen, von denen sie nur wahrnahm, daß sie etwas Wärmendes auf der Haut hatte. Wie eine Geschändete laufe die Blinde mit ihrem dummen Sommerhütchen durch die Stadt, so wollte Ina das jetzt sehen, wie eine Kuh, die man zum Almabtrieb geschmückt hat und die nicht versteht, was ihr mit diesem Schmuck geschieht. Und ging es ihr, Ina, denn so sehr viel anders als dieser Frau? Was sie auf dem Leibe trug, gewiß, das hatte sie selber ausgesucht, und das erschien jetzt als die allergleichgültigste Nebensache. Aber was alles andere anging, wußte und sah sie denn, wo sie ging und stand und welche Figur sie, von außen betrachtet, abgab? Das Leben in dieser Stadt mit Hans, was war das eigentlich? Hatte sie das etwa so gewollt wie die Blinde, die den Strickhut aufsetzte, den man für sie ausgesucht hatte?
    »Das Leben«, dieses Wort hätte ihr nicht in den Sinn kommen dürfen. Eine Flut von Verwirrung und Selbstmitleid stieg in ihr auf, als sie »das Leben« dachte, und sie mußte sich auf ein Mäuerchen setzen und schluchzen. Tränen blieben freilich aus, es war ein knochentrockener Weinkrampf, der deshalb auch nichts löste, sondern wie ein allergischer Hustenanfall allmählich verebbte.
    Daß es Neumond war, die Nacht, in der das schwarze Loch des Weltalls den letzten feinen Rand des Mondes aufschluckte, mußte jedem entgehen, der damit die Vorstellung einer vollständigen Lichtlosigkeit verband, wie sie im Westen Deutschlands aber kaum mehr zu erleben ist, denn das echte Nachtschwarz ist aufgeweicht im Neonschein der Städte und der Dörfer, die längst Vorstadtcharakter angenommen haben. Zunächst lag auch noch der sommerliche Lichtzauber über der Stadt. Der todweiße Sonnenhimmel des Tages, der die Farben wegsaugte und nur das Hellgrau von muffigen Schwarzweißaufnahmen übrig ließ, verflüchtigte sich, der Himmel erstrahlte in reinem Hellblau und war nun als leuchtende Kuppel vorstellbar. Eine Stunde des Aufatmens und
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