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Kerrion 3 - Traumwelt

Kerrion 3 - Traumwelt

Titel: Kerrion 3 - Traumwelt
Autoren: Unbekannter Autor
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Stunden fühlte, wie diese Luft dünner wurde und sich verflüchtigte.
    Sie stand auf und ging ratlos durch die Räume. Es war ungemütlich bei ihnen geworden, sie wandte keine Sorgfalt mehr auf ihre Umgebung. Überall lag etwas herum. Stühle und Sessel standen durcheinander, wie man sie beim Aufstehen verschoben hatte. Die Decke auf dem Sopha schleifte halb auf dem Boden. In den Vasen vertrockneten die Sommerrosen, die schon im Blumengeschäft nicht ganz frisch gewesen waren. Sie hatte diese Wohnung eingerichtet und manches dafür zusammengetragen, aber nun begannen die Sachen, ihr Eigenleben zu führen und sich dort aufzuhalten, wo sie sein wollten in ihrem blinden Sinn, dem der Aufstand gegen die Ordnung tief eingewurzelt war. Die Wohnung beugte sich ihr nicht einmal zum Schein. Sie empfand unversehens die Häßlichkeit dieser beginnenden Verwahrlosung wie die Äußerung einer fremden, feindlich gesinnten Macht, die ihre Kraft erst zeigte, nachdem die eigene verbraucht war.
    *
    Ina ging aus dem Haus. Sie trug am Leib nur ihr dünnes hemdartiges Kleid, ein weißes Baumwollgespinst, keine Tasche und kein Geld nahm sie mit. So begann sie ihre Wanderung durch die Stadt.
    Die lange Hitze begann ihre Wirkung zu zeigen. Am Baseler Platz gab es keine Bäume, aber als Ina nach einer Weile die älteren, halbwegs erhaltenen Wohnviertel erreichte, sah sie die Verheerungen, die die vergangenen Wochen unter den Kastanien angerichtet hatten. Es gab hier schöne Alleen, die die Straßen in ein lichtgepunktetes Dunkel tauchten. Um sommerliche Kastanien ist oft ein staubiger Hauch, trotz der weichen grünlappigen Blätter, die sich zu wolkigen Großarchitekturen auftürmen können. Diese Bäume entschädigten für vieles, was man in den Straßen verdorben hatte, es war geradezu, als könne man hier bauen, was man wollte, solange die Kastanien in wogender Riesenpracht die Schäbigkeit an den Rand verwiesen. Aber jetzt waren diese Blätter schon braun und ausgetrocknet, obwohl es noch nicht August war. Den schönsten und edelsten Tieren, den Walfischen und den Ti--gern, den Störchen und den Laubfröschen, machte die industrielle Zivilisation den Garaus, aber der Motte, die in den letzten Jahren aus Asien herangeflogen das Kastanienlaub verdorren ließ, war kein Gift gewachsen, als habe dieses winzige Lebewesen mit den chemischen Mitteln der Lebenszerstörung einen Pakt schließen dürfen, weil es auf seine Weise deren Werk vollendete.
    Mitten im Hochsommer ging Ina durch diese welkenden Alleen. Manche Bäume, die schon verstanden hatten, daß die Zeit für eine ruhige und angemessene Reifung ihrer Früchte nicht ausreichen würde, trieben mit der Kraft der Verzweiflung schon jetzt die Stachelkugeln hervor, die sonst erst im Oktober von den Zweigen auf die Straße fielen. Kümmerlich waren diese Stachelkugeln. Sie erreichten nicht die alte verheißungsvolle Prallheit, deren Aufplatzen dann die wie Mahagoni-Kommoden polierten Kastanien herausrollen ließen. Es lag sogar schon welkes Laub auf dem Pflaster, in den stilleren Straßen raschelte es schon unter Inas Schritten in den leichten Sandalen. Ina mochte den Buntsandstein nicht, aus dem hier viele Häuser gebaut waren. Er erschien ihr blutig-düster und gleichzeitig zu weich, schwammig, porig, wie Bimsstein. Noch war genügend Laub an den Bäumen, um den Straßen weiter Schatten zu spenden. Sie ging langsam und sah in die Wohnungen im Parterre hinein, soweit nicht die Rolläden herabgelassen waren. Hier schienen wohlhabende Leute zu wohnen. Man sah es an den Vorhängen und auch an kleinen blitzenden Reflexen aus dem Dunkel der Räume, die von einem Spiegel oder einem Deckenleuchter mit Glasprismen ausgingen.
    Wäre ihr Leben ein anderes, wenn sie in dieser Straße gewohnt hätten? Aber das war nur ein flüchtiger Gedanke. Zwischen zwei Sandsteintorpfosten stand das schwere eiserne Gartentor offen. Sie ging hinein, den Gang mit wackligen Fliesen bis zum Hof, in dem eine mächtige Kastanie stand, von den Häusern ringsum geschützt und zugleich dazu getrieben, durch ein äußerstes Wachstum doch noch ans Licht zu gelangen. Dieser bevorzugte Baum mußte dafür aber auch früher sein Laub verlieren als die Bäume auf der Straße, die der Zugluft ausgesetzt waren und etwas mehr Widerstandskraft entwickelten. Ina stand vor einer haushohen Kaskade aus braun-verkrümmtem Laub. Der Sandkasten, der zwischen die hohen Wurzeln des Baumes gesetzt war, hatte sich schon ganz mit welken Blättern
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