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Kerrion 3 - Traumwelt

Kerrion 3 - Traumwelt

Titel: Kerrion 3 - Traumwelt
Autoren: Unbekannter Autor
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kaufen. So weit war sie gelangt auf ihrer Lebensreise. Hier kannte sie keiner, keiner gab ihr, wie sie es gewohnt war, nur auf ihren Namen hin Kredit - daß dies auch bei den Hamburger Eisbuden selten sein würde, brauchte jetzt nicht mitbedacht zu werden.
    Bei Ina wurden nun die Gedanken vom Gehen hervorgebracht. Wie sie voranschritt, leicht bergab inzwischen, an großen, vielbefahrenen Straßen entlang der Innenstadt zu, betrat sie auch in ihrer Phantasie neue Räume. Je mehr sie sich vertrauteren Regionen näherte - sie erkannte gelegentlich eine Kreuzung oder ein Gebäude -, desto schauriger erschien ihr die Vorstellung, nach Hause zurückzukehren. Sie mußte es, um an kaltes Wasser, um an ein Bad, an den Rest Zitroneneis im Eisschrank und an Geld zu gelangen. Auch ihr Telephon lag dort mit der eingespeicherten Nummer von Frau von Klein. Nur ein Knopfdruck genügte, und sie hätte die vertraute, leicht gereizte Damenstimme im Ohr, die Stimme einer Frau, die für das Telephon lebte, aber immer den Eindruck entstehen ließ, als sei sie bei bedeutenden Verrichtungen gestört worden.
    Noch einmal jedoch dies Treppenhaus zu betreten, noch einmal mit Hans zu sprechen, noch einmal aus den Fenstern des Wohnzimmers auf die Nachbarstraßen zu blicken, das ging über Inas Kraft. Ihr Zustand fand jetzt den Durchbruch zu einer höheren Reinheit. Ihre Verzweiflung trat unverhüllt zutage. Sie bedurfte nicht mehr der Vorwände und Vorwürfe, sie erhob überhaupt keinen Vorwurf gegen irgendwen. Sie trau--erte nicht um den Verlust idealer Zustände. Sie war als ganze
    Person zu einem in alle ihre Gefäße ausgegossenen explosiven Gefühl geworden. Ein Funken genügte, um es zu entzünden. Niemandem hätte sie diesen Zustand beschreiben dürfen, weil sie genau wußte, wie man sie zu beruhigen versuchen würde, mit welch erbärmlicher Hilflosigkeit, etwa von der Art: Es sei doch alles gar nicht so schlimm. Doch, es war schlimm, jetzt stand sie schon in Flammen.
    Eine Frau mit dem muslimischen Kopftuch trat auf sie zu. Sie hielt einen Zettel in der Hand und fragte in mühevollem Deutsch nach dem Hauptbahnhof. Sie hatte sich das ihr unverständliche Wort nach dem eigenen Sprachgefühl zurecht geformt und sagte mehrfach »Happana«. Nachdem Ina den Zettel entziffert hatte, verstand sie schließlich. Die Frau war der ihr vom Schicksal in dieser Stunde der Not zugeworfene Strohhalm, und sie ergriff ihn mit einer Entschlossenheit, daß die Frau sie verwundert ansah.
    Zum Hauptbahnhof hätte Ina von hier aus gefunden, freilich nicht auf dem kürzesten Weg. Das teilte sie der Frau jetzt auch mit. Sie wisse genau, wo der Hauptbahnhof liege, nur sei er nicht nah, sie schätze, daß die Frau mit ihrer großen Tasche mindestens dreißig oder gar fünfunddreißig Minuten für den Weg rechnen müsse. Möglicherweise gelinge es ihr auch unterwegs, den Umweg, den sie jetzt gewiesen werde, abzukürzen. Wichtig sei, sich zunächst geradeaus zu halten, über etwa drei oder vier Kreuzungen hinweg. Die Schwierigkeit beginne erst dann. Der Hauptbahnhof liege im Grunde parallel zu der Straße, auf der sie sich jetzt befanden. Die Aufgabe sei nun, sich auf der richtigen Höhe durch einige Querstraßen dem Hauptbahnhof seitlich anzunähern. Sehe man ihn vor sich lie-gen, könne man ihn aber nicht mehr verfehlen. Er sehe unverkennbar wie ein Hauptbahnhof aus.
    Dies alles sagte sie, als sei ihrem Schweigen eine Schleuse geöffnet worden. Die Muslimin verstand kein einziges Wort, lauschte dem erhitzten Mädchen aber mit gerunzelter Stirn und stetem Nicken. Sie gingen sogar noch ein Stück zusammen, Ina half der Frau die Tasche tragen und sprach ohne Unterlaß, indem sie den Weg, den sie nahmen, zugleich beschrieb - »Wir gehen jetzt praktisch immer geradeaus«, sagte sie etwa -, und als sie sich trennten, war sie tatsächlich ruhiger geworden. Zwar spürte sie ein seelisches Zurückrinnen ins Dunkle, als sie wieder allein war, aber es kam ihr jetzt weicher, samtiger dort vor. Auch um sie herum war es nun Nacht geworden. Die Rücklichter der Autos leuchteten wie rote Grabkerzen auf einem abendlichen Friedhof, und der Anblick dieser roten Lämpchen tat ihr gut.
    Zuhause war jeder Gedanke an ein schönes Bad und ein köstliches Eis vergessen, gerade daß sie sich am geöffneten Eisschrank ein Glas Mineralwasser eingoß, das sie aber schon nach zwei Schlucken wegschüttete. Eine erneuerte Rastlosigkeit beherrschte sie: Jetzt sofort aufbrechen und in derselben
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