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0638 - Das Palazzo-Gespenst

0638 - Das Palazzo-Gespenst

Titel: 0638 - Das Palazzo-Gespenst
Autoren: Jason Dark
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Die Horror-Oma genoss den Blick von der Freitreppe, hinein in den prächtigen Garten, dessen Grundstücksende vom Brenta-Kanal begrenzt wurde.
    Die Villa del Sole lag einfach wunderbar. Ein altes Schlösschen aus dem sechzehnten Jahrhundert. Eine Welt, in der die Zeit stehengeblieben war. Wie ein Schutz umgab der große Garten das außergewöhnliche Haus, das vier gleiche Fassaden aufwies. Ein Novum, eine wirkliche Rarität und ein Ort der Ruhe.
    Man konnte hier entspannen, kuren, sich erholen, in den Gärten lustwandeln, denn die Wege wurden stets gepflegt. Hecken schirmten sie gegen den Wind ab, der manchmal über die Alpen hinwegblies, wenn er von Norden kam und kalt war. Wehte er aus Richtung Osten, dann brachte er den Geruch vom Lido mit.
    Manchmal auch fauligen, ein Gruß aus Venedig, der sonnendurchglühten und der morbiden Stadt, die allmählich ihrem Untergang entgegenweinte.
    Hinter Lady Sarah knirschten die Schritte der Italienerin. Vor der Treppe blieb sie stehen. Sie besaß nur drei breite Stufen. Dahinter begann der Garten.
    Die Signora stützte sich auf ihren Stock, eine alte Krücke mit einem silbernen Knauf. Lady Sarah hatte sie erzählt, dass sie aus irgendeiner Wein-Dynastie stammte und regelmäßig die Villa del Sole besuchte. Die schmalen Nasenflügel ihrer Hakennase bewegten sich, als sie die Luft einatmete.
    »Haben Sie etwas, Signora?«
    Die Frau lachte. »Ich sagte Ihnen doch, diese Nacht kann gefährlich werden. Der Mai ist ein schlimmer Monat.«
    »Weshalb gerade der Mai?«
    »Da ist sie gestorben, aber das wissen Sie doch, Signora Goldwyn.«
    »Ich wollte nur noch einmal nachfragen. Es ist so unwahrscheinlich verstehen Sie?«
    »Viele glauben es nicht«, flüsterte die Frau. »Man ist hier sehr diskret, was gewisse Dinge betrifft.«
    »Die wären?«
    »Das Wegschaffen der Leichen!« Lady Sarah schluckte. Irgendwie hatte sie die Antwort geschockt, obwohl gerade sie einiges gewohnt war, was den Umgang mit Grusel, Grauen und Horror anging.
    »Jetzt sagen Sie nichts mehr, Signora.«
    »Ich muss erst nachdenken« Lady Sarah räusperte sich. Sie kam sich vor wie auf einer Bühne stehend, von wo sie in den noch leeren Zuschauerraum hinabschaute. Hier war alles anders. Man hatte das Gefühl, an der Zeit vorbeizulaufen. Im Costello wurde viel über den Tod gesprochen, der ein ständiger Gast sein sollte.
    »Wer schafft die Leichen weg?«
    »Das Personal. Wissen Sie, die Leute sind daran gewohnt. Sie leben mit dem Fluch und dem Tod. Beide begleiten sie, man gewöhnt sich halt daran.«
    »Ja, das kann ich mir vorstellen. Ich habe nicht gedacht, hier so etwas anzutreffen. Dennoch ist das Haus wunderschön.« Lady Sarah schaute sich um.
    Zwischen den Säulen standen Bänke. Hellweiß gestrichen, Oasen der Ruhe. Auch im Haus störte kein Lärm. Gäste und Personal waren es gewohnt, sich leise zu bewegen.
    Die Italienerin schnüffelte wieder. »Ich weiß, dass es in dieser Nacht passieren wird. Heute noch schlägt das Palazzo-Gespenst zu.« Dann lachte sie. »Es ist wie Russisches Roulett. Niemand weiß, wen es erwischt. Das ist einmalig. Diese Ungewissheit lockte viele Menschen in die Villa. Menschen, die alt sind, so wie wir. Die irgendwann sterben können, sehr plötzlich sterben wollen, deshalb gehen sie diesen hinterlistigen Poker mit dem Tod ein.«
    »Ich fühle mich noch nicht alt«, widersprach Lady Sarah.
    »Darauf nimmt sie keine Rücksicht. Wenn Sie Venetia sehen, ist es zu spät.«
    »Woher wissen Sie das?«
    Die alte Italienerin legte ihre Hände übereinander auf den Knauf. »Woher ich das weiß? Die alten Geschichten stimmen. Sie werden sterben, Signorina Goldwyn. Sie hätten nicht herkommen dürfen, oder haben Sie nicht gewusst, was Ihnen bevorsteht?«
    »Nein.«
    »Dann beten Sie, dass Sie die Nacht überstehen. Reisen Sie morgen früh am besten ab.«
    »Ich werde es mir nicht noch einmal überlegen. Mir gefällt es hier, Signora Brandi.«
    »Machen Sie keinen Fehler.« Die alte Frau zog die Stola enger um die Schultern. »Ich finde es etwas kühl. Sie nicht auch, Lady Sarah?«
    »Nein.«
    »Ich werde hineingehen. Wir sehen uns noch bei einem spätabendlichen Drink?«
    »Vielleicht.«
    »Kommen Sie lieber. Genießen Sie ihn. Es könnte Ihr letzter sein. Das dürfen Sie nie vergessen.« Signora Brandi hustete, drehte sich um und ging. An der Tür blieb sie noch einmal stehen und gab ihre letzte Warnung ab. »Wenn Sie ein kalter Hauch streift, Signorina, ist das nicht allein der Abendwind,
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