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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn
Autoren: Henning Mankell
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schrieb er ihr und war weinerlich und voller Selbstmitleid und wollte wissen, ob sie sich vorstellen könne, ihn zurückzunehmen. Erst da, als sie mit dem weinfleckigen Brief in der Hand dasaß, erkannte sie, daß es wirklich vorbei war. Sie wollte beides, ihn zurückhaben und ihn nicht zurückhaben, doch das erste wagte sie nicht, weil sie wußte, daß er ihr Leben von neuem zerstören konnte. Ein Mensch kann einmal im Leben zu Boden gehen und sich wieder aufrichten, hatte sie gedacht. Aber nicht zweimal, das war zuviel. Also antwortete sie ihm, daß ihre Ehe beendet sei. Henrik war da, es sei ihnen beiden selbst überlassen, herauszufinden, welche Art von Gemeinschaft sie im Leben haben wollten, sie werde sich nicht zwischen ihn und das Kind stellen.
    Es verging nahezu ein Jahr, bis er wieder von sich hören ließ. Da kam er durch eine rauschende Telefonleitung aus Neufundland zu ihr, wohin er sich mit einigen gleichgesinnten Computerexperten zurückgezogen hatte, die ein sektenähnliches Netzwerk gebildet hatten. In dunklen Reden hatte er ihr zu erklären versucht, daß sie daran arbeiteten, zukünftige Archivierungsmethoden zu erforschen, wenn alle menschliche Erfahrung in Nullen und Einsen verwandelt war. Der Mikrofilm und die Felskammern waren für die gesammelte menschliche Erfahrung nicht mehr von Bedeutung. Jetzt war es der Computer, der garantieren sollte, daß der Mensch in einem bestimmten Zeitalter keine Leere zurückließ. Aber konnte man garantieren, daß die Computer in der magischen Halbwelt, in der er lebte, nicht anfingen, eigene Erfahrungen zu erschaffen und zu speichern? Die Telefonleitung rauschte, sie verstand nicht viel von dem, was er sagte, aber er war auf jeden Fall nicht betrunken und voller Selbstmitleid.
    Er bat sie um die Lithographie eines Habichts, der eine Taube schlug, ein Bild, das sie am Anfang ihrer Ehe zufällig in einer Galerie gekauft hatten. Ein paar Wochen später schickte sie das Bild. Ungefähr gleichzeitig hatte sie bemerkt, daß er wieder Kontakt zu seinem Sohn aufgenommen hatte, auch wenn dies im geheimen geschah.
    Aron stand weiterhin im Weg. Sie zweifelte manchmal daran, daß es ihr je gelingen würde, sein Gesicht auszuwischen und die Meßlatte loszuwerden, mit der sie andere Männer maß und die der Grund dafür war, daß alle früher oder später für zu klein befunden und fallengelassen wurden.
    Sie wählte Henriks Nummer. Jedesmal, wenn die alten Wunden aus der Beziehung mit Aron wieder aufbrachen, mußte sie Henriks Stimme hören, um nicht in Bitterkeit zu verfallen. Aber wieder meldete sich nur der Anrufbeantworter, und sie sagte, sie werde jetzt nicht mehr anrufen, bis sie in Visby angekommen sei.
    Es gab immer einen Moment kindlicher Angst, wenn er sich nicht meldete. Einige Sekunden lang stellte sie sich Unglücke vor, Brände, Krankheiten. Dann wurde sie wieder ruhig. Henrik war vorsichtig, ging nie unnötige Risiken ein, auch wenn er viel reiste, oft das Unbekannte aufsuchte.
    Sie trat hinaus auf den Hof und rauchte eine Zigarette. Von Mitsos' Haus hörte sie einen Mann lachen. Es war Panayiotis, sein älterer Bruder. Panayiotis, der zum Verdruß der Familie Geld beim Pferderennen gewonnen und damit eine unverschämte finanzielle Voraussetzung für sein leichtfertiges Leben geschaffen hatte. Sie mußte lachen, als sie daran dachte, zog den Rauch tief in die Lungen und sagte sich abwesend, daß sie am Tag ihres sechzigsten Geburtstags aufhören würde zu rauchen.
    Sie war allein in der Dunkelheit, der Sternenhimmel war klar, der Abend mild, ohne die kühlen Windstöße. Hierhin bin ich gekommen, dachte sie. Von Sveg und dem melancholischen Härjedalen nach Griechenland und zu den bronzezeitlichen Gräbern. Aus dem Schnee und der Kälte in die warmen und trockenen Olivenhaine.
    Sie drückte die Zigarette aus und ging zurück ins Haus. Ihr Fuß schmerzte. Sie hielt inne, unschlüssig, was sie tun sollte. Dann rief sie noch einmal bei Vassilis an. Es war nicht mehr besetzt, aber es nahm auch niemand ab.
    Vassilis' Gesicht verschwamm in ihrer Vorstellung sogleich mit dem von Aron. Vassilis täuschte sie, er betrachtete sie als einen Bestandteil seines Lebens, auf den er verzichten konnte.
    Eifersüchtig wählte sie die Nummer des Handys, das er in der Tasche hatte. Keine Antwort. Nur eine griechische Frauenstimme, die sie bat, eine Nachricht zu hinterlassen. Sie biß die Zähne zusammen und sagte nichts.
    Dann klappte sie ihre Tasche zu und beschloß im selben
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