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S.T.A.L.K.E.R. 04 - Zone der Verdammten

S.T.A.L.K.E.R. 04 - Zone der Verdammten

Titel: S.T.A.L.K.E.R. 04 - Zone der Verdammten
Autoren: Bernd Frenz
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1.
    DIE MÜLLDEPONIE
     
    Im Prinzip gibt es keine ausweglosen Situationen. Laut eines Zonengerüchts stammt dieser Satz von Red Schuchow, einige Augenblicke bevor er bei lebendigem Leib im Fundament des Betonsarkophags des vierten Reaktorblocks eingemauert wurde.
    Ich lag auf einem Bahndamm, der von starken Regengüssen überflutet wurde, und lauschte aufmerksam dem Rauschen der Wassermassen, die vom Himmel fielen. Mistwetter. Der verdammte Regen erschwerte es mir beträchtlich, die Deponie im Auge zu behalten und spielte somit meinen Verfolgern in die Hände. Schon zweimal war ich alarmiert aufgeschreckt, weil sich der Klang der Regentropfen in den Pfützen verändert hatte — aber beide Male waren nur irgendwelche Krähen schuld gewesen, die im Geäst der schwarz gewordenen Bäume hockten und die Nässe von ihren Federn abzuschütteln versuchten. Die kaum hörbaren Geräusche der Menschen, die durch die Zone schlichen, verschlang der Regen jedoch vollkommen.
    Ich hob vorsichtig meinen Kopf über die Gleise und starrte aufs Neue in den tiefen Abgrund, der auf der anderen Seite des Bahndamms gähnte. Ich verspürte überhaupt keine Lust hinunterzusteigen. In diesem Loch war es einfach nur beschissen. Mehr als unangenehm. Obwohl sich die Sonne hinter den dichten Wolken versteckte,schimmerte dort im Abgrund ein einzelner Lichtstrahl; etwas blitzte regelmäßig im Gras und im Wirrwarr verrosteter Armaturen auf, so als ziele man mit einem Laservisier auf mich. Dort unten roch es verdammt nach Ärger. Es war dieses vage Gefühl, das sich meldet,wenn man ganz allein ein fremdes, dunkles Zimmer betritt. Schon der bloße Gedanke daran, mich in diesen Abgrund zu begeben, verursachte mir eine Gänsehaut — wie wenn ein Nagel kreischend über eine Glasfläche kratzt.
    Dima Schuchow — sein Spitzname war Red —hatte tatsächlich einen Ausweg aus der eigentlich ausweglosen Lage gefunden. Er wurde zum Dunklen Stalker — zum Geist der Zone, zu einem Gespenst, das Teufel für die einen und Engel für die anderen war. Er konnte jeden,der die ungeschriebenen Gesetze der Zone missachtete, hart bestrafen, aber auch retten, indem er vom Weg abgekommene Stalker auf eine unsichtbare Falle hinwies oder ihnen einen sicheren Rückweg aufzeigte. Man erzählte sich, dass er den einen oder anderen auch mal auf ganz besondere und seltene Pfade hinwies. Allerdings war mir das einerlei. Sollte er sich doch zum Teufel scheren. Ein qualvoller Tod und das anschließende Dahinvegetieren als ruhelose Seele standen nicht gerade ganz oben auf meinem Wunschzettel. Also musste ich mir eine andere Lösung für die Zwickmühle ausdenken, in der ich mich befand.
    Ich knöpfte die Tarnjacke auf und holte vorsichtig ein kleines silbernes Zigarettenetui aus der Brusttasche. Dieses Ding bereitete mir mehr Kopfzerbrechen als alles andere, mehr noch sogar als die aktuelle Situation.
    Interessant. Bilde ich mir das nur ein oder ist das Zigarettenetui tatsächlich wärmer geworden? Hey, dieses Drecksding trage ich an meinem Herzen! Und die Pumpe setzt von Zeit zu Zeit aus, zieht sich manchmal für einen Augenblick fürchterlich zusammen. Kann auch an der Übermüdung und der ganzen Thermoskanne Kaffee liegen, aber vielleicht ... sollte ich das Zigarettenetui doch lieber in den Rucksack packen? Nein. Der Rucksack kann schnell verloren gehen,vor allem, wenn man rennen muss.
    Ich berührte das Zigarettenetui mit den Fingerspitzen, nachdem ich mich letzten Endes doch nicht traute es zu öffnen, und versteckte es aufs Neue in der Brusttasche. Wegen dieses Mistdings waren bereits zwei Stalker draufgegangen, und schon in Kürze würden noch drei weitere sterben. Vielleicht auch nur einer — nämlich ich —, je nachdem, wie die Würfel fielen.
    Die erste Variante wäre mir natürlich lieber gewesen.
    Ich schob meinen Ärmel zur Seite und warf einen Blick auf den Bildschirm des PDAs. Der Bewegungsmelder zeigte in etwa hundert Metern Entfernung das chaotische Hin und Her eines kleinen Objekts an — wahrscheinlich ein sogenannter Blinder Hund,der sein Rudel verloren hatte und nun in den Ruinen nach etwas Fressbarem suchte. Lebende Organismen von der Größe eines Menschen wurden momentan nicht erkannt. Aber das konnte auch bedeuten, dass sich die Betreffenden lediglich nicht bewegten, sondern vielleicht im Gebüsch lauerten und den Bahndamm durch ihre Visiere beobachteten.
    Bei der Gelegenheit überprüfte ich gleich den Posteingang. Einfach so, denn Ordnung muss sein.
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