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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn
Autoren: Henning Mankell
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und der Enddarmöffnung. Die sichtbaren Schleimhäute sind blaß und weisen keine Blutungen auf. Keine sichtbaren Verletzungen und Narben. Die äußeren Geschlechtsorgane sind unverletzt und frei von Fremdmaterial.«
    Immer noch verstand sie nicht, wovon der Brief eigentlich handelte. Noch spürte sie nur eine vage Furcht. Sie las weiter:
    »Bei der inneren Untersuchung kein Nachweis von Blutungen unter der Haut. Der Schädel ist unverletzt, die Innenseite der Schädelknochen bleich. Außerhalb oder unter der harten Hirnhaut keine Blutungen zu erkennen. Die harte Hirnhaut ebenfalls unverletzt. Die Oberfläche des Hirns unauffällig. Keine Zeichen von Hirndruck. Mittellinie nicht verschoben. Die weichen Häute glänzend und glatt. Zwischen den Häuten keine Blutungen oder sonstige Pathologika. Normale Weite der Hirnkammern. Scharfe Grenze zwischen grauer und weißer Substanz. Die graue Substanz von normaler Farbe. Hirngewebe von normaler Konsistenz. Keine Ablagerungen in den Hirnbasisarterien.«
    Sie las weiter über Kreislauforgane, Atmungsorgane, Verdauungsorgane, Harntrakt. Die Liste war lang und endete mit einer Beschreibung des Skeletts. Schließlich kamen die Schlußsätze.
    »Der Verstorbene ist tot auf dem Bauch liegend auf dem Asphalt gefunden worden. Spezifische Untersuchungsfunde vor Ort sind nicht erhoben worden. Das Vorkommen von Petechien deutet auf Tod durch Erdrosseln hin. Das Gesamtbild läßt darauf schließen, daß der Tod wahrscheinlich von einer anderen Person herbeigeführt wurde.«
    Was sie in der Hand hielt, war ein gerichtsmedizinisches Obduktionsprotokoll, von unbekannten Gerichtsmedizinern in einem unbekannten Krankenhaus abgefaßt. Erst als sie die Angaben zu Größe und Gewicht las, erkannte sie zu ihrem Entsetzen, daß die Person auf dem Obduktionstisch Aron gewesen war.
    Von einer anderen Person herbeigeführt. Nachdem Aron die Kirche verlassen hatte, hatte jemand ihn angegriffen, erdrosselt und auf einer Straße zurückgelassen. Aber wer hatte ihn gefunden? Warum hatte die spanische Polizei nichts von sich hören lassen? Welche Ärzte hatten die Obduktion vorgenommen?
    Sie fühlte ein verzweifeltes Bedürfnis, mit Artur zu sprechen. Sie rief ihn an, erwähnte aber nichts von Lucinda oder dem Protokoll, sondern sagte nur, daß Aron tot sei und daß sie im Augenblick nicht mehr sagen könne. Er war zu klug, um Fragen zu stellen. Er wollte nur wissen, wann sie nach Hause käme.
    »Bald«, erwiderte sie.
    Sie leerte die Minibar und fragte sich, wie sie alle Trauer, die ihr aufgebürdet wurde, ertragen sollte. Sie hatte das Gefühl, daß die letzten noch aufrecht stehenden Gewölbebogen in ihrem Innern jederzeit einstürzen konnten. In dieser Nacht im Hotel in Barcelona, als das Obduktionsprotokoll auf dem Fußboden lag, dachte sie, daß sie nicht länger würde standhalten können.
    Am nächsten Tag kehrte sie in Henriks Wohnung zurück.
    Während sie versuchte, zu einer Entscheidung zu kommen, was sie mit seinen Sachen machen sollte, erkannte sie plötzlich, was sie tun mußte, um die Kraft zum Weiterleben zu finden.
    Es gab nur einen Weg, und der begann hier, in Henriks Wohnung. Was er nicht mehr hatte berichten können, würde ihre Aufgabe werden. Sie würde graben, und sie würde die Scherben, die sie fand, zusammenfügen.
    Was hatte Lucinda gesagt? Es ist nicht gut zu sterben, bevor man seine Geschichte zu Ende erzählt hat. Ihre eigene Geschichte. Und Henriks. Und Arons. Drei Geschichten, die jetzt zu einer geworden waren.
    Sie mußte es übernehmen, wenn kein anderer es tun konnte.
    Sie spürte, daß es eilte. Die Zeit schrumpfte um sie herum. Doch zuerst würde sie nach Hause fahren, zu Artur. Gemeinsam würden sie Henriks Grab besuchen und auch eine Kerze für Aron anzünden.
    Am 27. Dezember verließ Louise das Hotel und fuhr zum Flugplatz. Es war diesig. Sie zahlte ihr Taxi und suchte den Weg zum Eincheckschalter von Iberia und zu dem Flugzeug, das sie nach Stockholm bringen würde.
    Zum ersten Mal seit langem fühlte sie sich stark. Die Kompaßnadel hatte aufgehört, sich zu drehen.
    Als sie ihren Koffer aufgegeben hatte, kaufte sie noch eine Zeitung und ging dann zur Sicherheitskontrolle.
    Sie bemerkte den Mann nicht, der sie aus der Entfernung mit dem Blick verfolgte.
    Erst als sie durch die Sicherheitssperre gegangen war, verließ er die Abflughalle und verschwand hinaus in die Stadt.
NACHWORT
    Vor zwanzig Jahren sah ich im Westen von Sambia an der Grenze zu Angola einen
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