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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn
Autoren: Henning Mankell
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das, was dort draußen geschieht?«
    »Natürlich.«
    »Dann tragen Sie auch die Verantwortung für das Gegenteil dessen, was Ihren Worten zufolge in Ihren missions geschieht.«
    »Lassen Sie mich eins klarstellen. Es gibt keine Welt ohne Zweikampf, keine Zivilisation, die nicht zuallererst bestimmt, welche Regeln für den Umgang der Menschen miteinander gelten sollen. Aber Regeln sind für die Schwachen. Der Starke sieht, wie weit sie gedehnt werden können, er schafft seine Regeln selbst. Sie wünschen, daß die Dinge nur aus Barmherzigkeit und aus dem guten Willen der Menschen heraus geschehen. Aber wo kein privates Gewinninteresse ist, gibt es auch keine Entwicklung. Patente für Arzneimittel garantieren denjenigen Gewinne, die Forschung betreiben und damit die Entwicklung neuer Medikamente ermöglichen. Nehmen wir an, es träfe zu, was Sie über meine Dörfer sagen und was angeblich dort vor sich geht. Ich sage nicht, daß es so ist, aber nehmen wir es an. Könnte nicht auch aus einer dem Anschein nach brutalen Vorgehensweise Gutes entstehen? Bedenken Sie, daß es allerhöchste Zeit ist, ein Heilmittel gegen Aids zu entwickeln. Vor allem Südafrika steht vor einer gigantischen Katastrophe, die nur mit der Pest zu vergleichen ist. Was glauben Sie, welche Staaten bereit sind, Milliarden für die Entwicklung eines Impfstoffs zur Verfügung zu stellen? Die Gelder braucht man für wichtigere Aufgaben, wie den Krieg im Irak zu bestreiten.«
    Christian Holloway stand auf. »Meine Zeit ist knapp. Ich muß gehen. Kommen Sie gern wieder, wenn Sie wollen.«
    «Ich werde mich nicht zufriedengeben, bevor ich weiß, was mit Henrik geschehen ist.«
    Er öffnete lautlos die Tür. »Es tut mir leid, daß ich die Tür mit dem Dietrich geöffnet habe. Die Versuchung war zu groß.«
    Er verschwand den Flur hinunter. Durchs Fenster sah Louise ihn das Hotel verlassen und in ein Auto steigen.
    Sie bebte am ganzen Körper. Er war ihr entglitten. Es war ihr nicht gelungen, ihn zur Rede zu stellen und seine Abwehrmauern zu durchbrechen. Sie hatte ihre Fragen gestellt, aber er hatte seine Antworten bekommen. Sie begriff jetzt, daß er gekommen war, um herauszufinden, was sie wußte. Er war wieder gegangen, weil er sie nicht länger fürchtete.
    Jetzt richtete sich ihre Hoffnung auf Lucinda. Sie war die einzige, die Klarheit schaffen konnte in dem, was eigentlich geschehen war.
    Am Abend hörte sie die timbila draußen in der Dunkelheit. Diesmal kam die Musik von einer Stelle näher am Meer. Sie folgte den Klängen, setzte vorsichtig die Füße auf und versuchte, durchs Dunkel zu sehen. Es war Neumond, der Nachthimmel hatte einen dünnen Dunstschleier.
    Als die Musik verstummte, horchte sie nach Lucindas Atem, hörte aber nichts. Für einen Moment fürchtete sie, in eine Falle gegangen zu sein. Es gab keine Lucinda hier draußen im Dunkeln, andere Schatten warteten auf sie, so wie sie auf Umbi gewartet hatten, auf Henrik und vielleicht auch auf Aron.
    Dann hörte sie Lucinda rufen, direkt neben sich. Ein Streichholz flammte auf, eine Laterne wurde angezündet.
    Louise setzte sich neben Lucinda auf den Boden. Sie fühlte an Lucindas Stirn, daß sie hohes Fieber hatte.
    »Du hättest nicht kommen sollen. Du bist zu krank.«
    »Ich weiß. Irgendwo muß man sterben. Die Erde hier ist so gut wie anderswo. Außerdem sterbe ich nicht allein. Ich werde nicht ohne Gesellschaft unter der Erde liegen. Im Land der Toten gibt es mehr Menschen als in dem der Lebenden. Wenn man nur wählt, dort zu sterben, wo andere Tote warten.«
    »Christian Holloway hat mich heute besucht.«
    »Ich dachte mir, daß er das tun würde. Hast du dich umgesehen, als du gekommen bist? Ist dir jemand gefolgt?«
    »Ich habe niemanden gesehen.«
    »Ich frage nicht danach, was du gesehen hast. Ich frage, ob dir jemand gefolgt ist.«
    »Ich habe weder etwas gehört noch gesehen.«
    Louise bemerkte, daß Lucinda von ihr fortrückte.
    »Ich brauche Platz um mich. Das Fieber verbrennt den ganzen Sauerstoff. «
    »Was wolltest du erzählen?«
    »Die Fortsetzung. Den Schluß. Wenn es einen Schluß gibt. «
    Aber Lucinda kam nicht mehr dazu, noch etwas zu sagen. Ein Schuß zerriß die Stille. Lucinda zuckte und fiel auf die Seite, vollkommen still.
    Louise sah plötzlich die Bilder vor sich, die sich in Henriks Mappen befunden hatten. Lucinda war am Kopf getroffen, genau dort, wo die tödliche Kugel in John Kennedys Hirn eingedrungen war. Aber niemand würde sich die Mühe machen, das
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