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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn
Autoren: Henning Mankell
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Hirn zu verstecken, das jetzt aus Lucindas Kopf herausgepreßt wurde.
    Louise schrie. Sie hatte das Ende der Reise erreicht. Aber nichts war so geworden, wie sie gehofft hatte. Jetzt hatte sie die Wahrheit vor Augen. Sie wußte, wer geschossen hatte. Es war ein Mann, der Silhouetten ausschnitt, ein davongleiten-der Schatten, der vor der Welt behauptete, nur Gutes zu tun. Aber wer würde ihr glauben? Lucindas Tod war das unerbittliche Ende der Geschichte.
    Louise wollte bei Lucinda bleiben, wagte es aber nicht. Sie hoffte in all ihrer Verwirrung und Angst, daß einer von Lu-cindas unsichtbaren Freunden sich in der Dunkelheit außerhalb des Lichtkreises der Laterne befand und sich um sie kümmern würde.
    Noch eine Nacht lag sie wach vor Entsetzen. Sie war unfähig zu denken, alles war eine große und eisige Leere.
    Am Morgen hörte sie Warrens Lastwagen, als er sich dem Hotel näherte. Sie ging hinunter zur Rezeption und bezahlte ihr Zimmer. Als sie auf den Sandplatz hinaustrat, stand Warren da und rauchte. Nichts war zu sehen an der Stelle, wo Lucinda getötet worden war. Keine Menschen, kein Körper, nichts.
    Warren warf die Zigarette fort, als er sie erblickte, und legte bedrückt die Stirn in Falten.
    »Hier ist heute nacht geschossen worden«, sagte er. »Wir Afrikaner haben viel zu viele herrenlose Waffen in den Händen. Wir erschießen uns zu oft gegenseitig.«
    Er öffnete ihr die Wagentür. »Wohin fahren wir heute? Es ist ein schöner Tag. Ich kann Ihnen Lagunen zeigen, wo das Wasser Ihnen wie Perlen durch die Finger rinnt. In Südafrika habe ich in tiefen Grubenschächten nach Kostbarkeiten gegraben. Hier rinnen die Diamanten in Form von Wassertropfen durch meine Hände.«
    »Ein andermal. Nicht jetzt. Ich muß zurück nach Maputo.«
    »So weit?«
    »So weit. Ich zahle, was Sie verlangen.«
    Er nannte keinen Preis, setzte sich nur auf den Fahrersitz und legte den niedrigsten Gang ein. Louise drehte sich um und dachte, daß sie den Strand, an dem sie all das Grauenhafte erlebt hatte, nie wiedersehen würde.
    Sie fuhren durch den Morgen. Der rote Staub wirbelte auf. Schon bald stand die Sonne hoch, und die Hitze senkte sich über die Landschaft.
    Den ganzen langen Weg bis Maputo saß sie schweigend neben Warren und bezahlte ihn wortlos, als sie am Ziel waren. Er stellte keine Fragen, sagte nur auf Wiedersehen. Sie nahm ein Zimmer im Hotel Terminus, schloß die Tür hinter sich und stürzte ins Bodenlose. Zwei Tage verbrachte sie im Hotel, redete mit niemandem außer den Zimmermädchen, die ihr hin und wieder etwas zu essen brachten, was sie kaum anrührte. Sie rief nicht einmal Artur an, um ihn um Hilfe zu bitten.
    Am dritten Tag zwang sie sich aufzustehen und verließ das Hotel und Mozambique. Über Johannesburg erreichte sie am Nachmittag des 23. Dezember Madrid. Alle Flüge nach Barcelona waren wegen der Feiertage ausgebucht. Sie überlegte, ob sie den Zug nehmen sollte, entschloß sich aber zu bleiben, als sie einen Platz in einer Maschine am folgenden Vormittag bekam.
    Es regnete in Madrid. Glitzernde Weihnachtsdekorationen hingen über Straßen und in Schaufenstern, eigentümliche Weihnachtsmänner tauchten vor dem Fenster des Taxis auf. Sie hatte ein Zimmer im teuersten Hotel genommen, das sie kannte, dem traditionsreichen Ritz.
    Einmal waren Aron und sie an dem Hotel vorbeigegangen, auf dem Weg zu einem Besuch im Prado. Sie erinnerte sich daran, wie sie mit dem Gedanken gespielt hatten, Geld zu verschwenden und für eine Nacht eine Suite zu nehmen. Jetzt bezahlte sie ihr Zimmer mit Arons Geld, während er selbst fort war. Sein Verlust bereitete ihr einen anhaltenden Schmerz. Erst jetzt begann sie einzusehen, daß etwas von der Ursprunglichen Liebe zurückgekehrt war, als sie ihn zwischen den roten Papageien gefunden hatte.
    Sie besuchte das Museum auf der anderen Straßenseite. Sie kannte noch den Weg zu den Sammlungen von Goyas Gemälden und Stichen.
    Aron und sie hatten lange vor dem Bild einer alten Frau gestanden, er hatte ihre Hand genommen, und sie hatten beide, das wurde ihnen später klar, an das unausweichliche Alter gedacht.
    Den ganzen Nachmittag verbrachte sie im Museum und versuchte, für kurze Augenblicke alles zu vergessen, was geschehen war.
    Es regnete auch am folgenden Tag, als sie nach Barcelona flog. Als sie aus dem Flugzeug stieg, wurde ihr schwindelig, und sie mußte sich an die Wand der Rampe lehnen, die ins Terminal führte. Eine Stewardeß fragte sie, ob sie Hilfe benötige.
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