Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen
Autoren: Simone Keil
Vom Netzwerk:
“Ich war erwachsen. Ärztin.” Sie lachte, aber das Lachen klang eher wie Weinen.
    “Du hast ihn Erin genannt.” Nut zupfte an Pritunias Ärmel. “Und du”, er zeigte auf Erin, “hast mich Erin genannt.”
    Pritunia strich Nuts Haare aus der Stirn. Sie schüttelte den Kopf, sah von Nut zu Erin, von Erin zu … Erin. “Du bist Erin”, sagte sie. “Und du bist Erin. Und das kommt mir nicht einmal komisch vor.” Sie verschränkte die Arme vor der Brust. “Es ist kalt hier”, sagte sie. “Viel zu kalt.”
    Herr Blum sah von seinen Aufzeichnungen auf. “Ach”, sagte er. “Nicht schon wieder.”
    Der Schattenmann tänzelte an der Wand entlang, nachdem er sich gemächlich durch die Luke auf die Matratze fallen gelassen hatte.
    Conchúbar legte einen Arm um Erins Schultern, um die Schultern des Jüngeren.
    Herr Blum erhob sich umständlich aus seinem Sessel. “Habt ihr Angst?”, fragte er. “Nicht doch. Wir befinden uns  im abgeschlossenen Realitätsbereich des Patienten. Nun ja, fast abgeschlossen”, fügte er mit einem Blick auf Pritunia hinzu.
    “Realitätsbereich”, wiederholte Conchúbar ohne den Schattenmann aus den Augen zu lassen.
    “Nennen Sie es meinetwegen Traum. Mit den Träumen der Menschen kennt ihr euch doch bestens aus. Nicht wahr?”
    Der Schattenmann zuckte jetzt, als hätte er Krämpfe, dann hüpfte er weiter. Immer näher heran. Conchúbar lächelte. Ein Traum. Ein Jahim. Eine Aufgabe zu erfüllen. Das war nicht das, was er seinem Volk erjagen wollte. Aber wer sagte, dass ein Jahim nur eine Trophäe zum Fuße der Purpurberge bringen kann? Und wenn schon. Er war der Auserwählte, er konnte tun, was niemand vor ihm vollbracht hatte. Schatten und Licht, schwarz und weiß. Herr Blum nickte ihm aufmunternd zu und reichte ihm eines der Blätter von seinem Schreibtisch.
    Conchúbar trat dem Schattenmann entgegen. Er klatschte das Papier auf die tänzelnde Gestalt und nahm es von der Wand. Schwarz auf weiß.
    Herr Blum klatschte begeistert in die Hände. “Wundervoll!” Er schob seine Brillen zurecht. “Darf ich?”
    Conchúbar reichte ihm das Papier. “Bewahre es auf”, sagte er. “Ich denke, das ist das Richtige.”
    Herr Blum eilte zurück an seinen Schreibtisch und begann seine Notizen fortzusetzen.
    “So einfach”, sagte Nut. Er strahlte Conchúbar an und drückte ihm die Hand. Dann wurde er ernst. “Ich würde gerne nach Hause gehen.”
    “Wir alle sollten nach Hause gehen”, sagte Pritunia. “Ich schätze, vor mir liegt ein Studium.” Sie kicherte.
    Erin nahm eine Strähne ihres Haares in die Hand. Rotes Haar. Er sah ein Messer in seiner anderen Hand. Rotes Haar. Seine Kopfschmerzen kamen zurück. Diese verdammten Schmerzen, die ihn am Denken hinderten. Wellen und das Licht der Strahler. Und Blut an der Klinge seines Messers.
    Nein. Er fällt auf die Knie und schlägt sich die Fäuste an die Stirn. Nein, neinneinnein.

Der Patient
    Der Patient lief in seinem Zimmer auf und ab. In einer Hand hielt er Frau Schmitts Perücke, in der anderen Konstanzes rote Weste. Er betrachtete die Einweckgläser, in denen die Albe schwammen, den Holzstapel in der Ecke, das Messer auf dem Tisch.
    Er hatte das Mädchen mit den roten Haaren im Keller gefunden. Er ging nicht oft in den Keller, aber er musste neues Holz nach oben holen. Neues Holz, für neue Albe, die er konservieren würde, sobald sie fertig waren. Warum tat er das, all die Jahre schon? Immer und immer wieder? Klar, er litt unter einer Zwangsneurose, das hatte seine Ärztin festgestellt und er stimmte ihrer Diagnose zu. Aber warum tat er das?
    Er rieb sich die Schläfen, hinter denen es pochte, als schmiedeten Zwerge ihre Schwerter neu. Er kicherte. Früher hatte er ausgesprochen gerne in Metaphern geredet, aber irgendwann war er erwachsen geworden und fand es einfach besser, die Dinge beim Namen zu nennen. Vielleicht hatte der Wandel auch damit zu tun, dass er das Wort Prägnanz so gerne mochte. Nachdem Herr Blum es einmal benutzt und er es nachgeschlagen hatte.
    Frau Schmitt hatte das Mädchen weggebracht. Es regt dich zu sehr auf, hatte sie gesagt. Und ja, sie hatte recht gehabt. Er musste ihr rotes Haar immerzu ansehen, gerade so, als hätte er noch niemals rotes Haar gesehen. Oder als hätte er erwartet, dass es eine andere Farbe hätte. Weiß. Warum kam ihm plötzlich weiß in den Sinn?
    Seit dieser Junge aufgetaucht war, ging in seinem Kopf einiges durcheinander. Nicht, dass vorher alles rund gelaufen wäre,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher