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Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst
Autoren: Frank Schätzing
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Wollust
    Ah! Sie!
    Ganz ohne Zweifel von jener Makellosigkeit und Schönheit, daß ihr nichts weniger gebührt als dein bedingungsloses Waterloo, liegt sie vor dir, nackt und braungebrannt, die üppig schwellenden Formen ein Bacchanal der Moleküle, schamlos dir entgegengereckt und doch ganz unschuldiges Opfer, deine Fleischeslust hinauf und immer höher auf den Gipfel der Versuchung peitschend, einen Gipfel, so unvorstellbar weit ausgreifend in den Sternenregen, daß die Luft kaum noch zu atmen ist und es dir das Herz abschnürt und du dennoch weiterklettern willst, wo gar nichts mehr zu klettern ist, dorthin, wo du das Verlangen nicht mehr fühlst, sondern selber pures, glühendes Verlangen wirst, eins wirst mit ihr und ihrer Herrlichkeit, den guten, zimmertemperierten Rat der Freunde und der Ärzte unter dir lassend wie tiefhängende Gewitterwolken, trunken von der Möglichkeit des Unmöglichen, kurz: das Ende eines jeden logischen Gedankens in deinem unbedeutenden synaptischen Mangrovensumpf, so ist sie, wartet sie auf dich, erwartet dich und keinen anderen als dich!
    Die ewig Lockende, nimm sie! Bist du nicht ein Kind dieser verzauberten Stadt, von der sie sagen, daß Italien hier sein Revier markiert hat mit dem süßen Duft der ars vivendi? Was kann einer, der das Erbe der Cäsaren in sich trägt, in dessen Adern Blut vom Blute jener fließt, die einst ihr Heimweh an den feuchtkalten Gestaden der neuen Colonia in melancholischen Exzessen zu betäuben suchten, so daß sich in ihrem Stöhnen Lachen und Weinen mischte wie der adriatische Himmel mit dem Meer an dunstigen Tagen, was also kann einer wie du anderes wollen als diesen einen Augenblick, um sich dem Opfer zu opfern und der Hingabe hinzugeben? Schau sie an, Enkel des gottgleichen Gaius, Sohn des Epikur, und wage zu behaupten, daß dein aufgewühltes Innere sie nicht begehrt, gleich hier und jetzt, vor allen Leuten, hier auf diesem Tisch! Ja, ebenso exzessiv und orgiastisch, wie es deine Ahnen mit ihresgleichen trieben, ist, was du nun mit ihr tun willst, Abkömmling Neros. Kaum, daß du dich zu zügeln vermagst, deiner Begierde die Besitzergreifung folgen zu lassen, aber – Warte!
    Ja, warte! Halte dich zurück, nur noch ein wenig, zögere es den Herzschlag einer Ewigkeit hinaus. Sie ist ja dein, will zu dir, bietet sich dar. Sieh nur, wie ihr erhitztes Fleisch nach dir verlangt. Du aber liebkose sie mit Blicken, einstweilen noch. Denn es ist ja gerade die hinausgezögerte, die kundig angestaute Lust, die sich dann um so wilder ins Becken aller Sinnlichkeit ergießt.
    Wie lange hast du auf sie gewartet? Wie lange sie ersehnt? Aus einer Rippe soll sie kommen, die Versuchung? Einer Rippe? Was weiß denn einer von der Lust, der sie sich aus den Rippen schneiden muß? Nein, Rippe ist sie nicht, wenngleich sie dir, da sie nun endlich – endlich! – hingestreckt dort liegt, anmutet wie die himmlische Verheißung, ungeachtet jener Pölsterchen, die ein gewisses Defizit an Leibesübung nicht verleugnen, auch nicht die Reichlichkeit der zugeführten Speisen. Doch kommt dem Ideal nichts näher als das Idealisierte. Wird das Schöne schön erst durch den schönen Geist. Läßt schließlich erst der Blick des Liebenden das Unvollkommene vollkommen werden, bis es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern – honigschwere Tragik aller Liebe – nur noch zu zerstören: die letzte, höchste Lust.
    Drum nicht zu hastig, Freund. Liebkose schauend ihre Nacktheit. Ist sie, die mehr als üppige, in ihrer Fülle nicht um so schöner und betörender, Sproß des Caligula? Derart, daß du deine Augen nicht mehr von ihr lassen kannst, während dich ein Schauer nach dem anderen erbeben läßt und deine Mundhöhle der endlosen staubigen Sahara zu ähneln beginnt und es dich nur noch danach verlangt, sie hier und jetzt zu nehmen, ohne daß du ihren Namen wissen willst und ob sie einen hat, noch ihre Herkunft, noch, wo sie die Blüte ihrer Jugend hingebracht hat und auf welchen Pfaden sie gewandelt ist, bevor das Schicksal sie für dich bestimmte, hierher vor deinen voluptiven Blick.
    Und so, wie dir die Augen aus den Höhlen treten, schließt sich deine Hand um einen Messergriff, und keuchend rammst du ihr den Stahl ins spritzende Fleisch. Du schnaufst und sabberst vor Begierde und drehst das Eisen rum, Muskeln, Sehnen und Bänder zerfetzend, bis die Klinge hörbar am Knochen entlangschabt, und dann beginnst du, sie genüßlich zu zerstückeln.
    Denn sie ist schön. Aber sie ist ein
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