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Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst
Autoren: Frank Schätzing
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gesprochene Wahrheit, als Glücksprologen zum erhab’nen Schauspiel von kaiserlichem Inhalt – Freund, ich dank Euch!«
    Sie stießen an. Schlemmer warf den Kopf mit der edlen Nase und der breiten Stirn nach hinten, als er sein Glas in einem Zug leerte. Blonde Locken fielen über seine Schultern. Koch, in sich zusammengesunken, sah ihm zu und wünschte, einmal im Leben so ausgesehen zu haben wie dieser hünenhafte, gnadenlos von sich überzeugte junge Mann.
    Aber er war nur ein krummbeiniger Glatzkopf, der die Menschen nicht liebte und folglich nicht geliebt wurde.
    Oder auch umgekehrt.
    Als Schlemmer durch die Nacht heimwärts schlenderte, hatte er den alten Mann fast schon vergessen.
    Sicher, er mochte Koch. Weil der Alte klein und fahl und einsam war, tat er ihm sogar ein bißchen leid. Eine Regung, die allerdings zum Äußersten zählte, was Schlemmer für andere zu empfinden bereit war. Seit frühester Kindheit wußte er über seine Mitmenschen nicht viel mehr zu sagen, als daß sie auf der Welt waren, um ihn großartig zu finden oder wenigstens auf beeindruckende Weise arrogant. Wer Schlemmers Nähe suchte, verkümmerte zum Stichwortgeber. Schlemmer hielt großartige Monologe, sang Arien und rezitierte die Klassiker, und weil er das eine wie das andere leidlich gut konnte, verzieh man ihm, daß seine Jovialität oft an Beleidigung grenzte. Wer ihn hingegen ablehnte, den verstand Schlemmer so konsequent zu übersehen, daß die Betreffenden oft an ihrem eigenen Vorhandensein zu zweifeln begannen.
    Im Grunde interessierte sich Schlemmer für niemanden als sich selber.
    Dennoch sah es so aus, als sei er Kochs einziger Freund. Sie hatten sich kennengelernt, als Schlemmer ins Hänneschen-Ensemble eingestiegen war, als dreißigster Spieler, was ihn dreißig Kölsch kostete. Er fühlte sich wohl in der bunt zusammengewürfelten Truppe aus Schauspielern, Musikern, Masken-und Bühnenbildnern, die Kölsch nach dem Reinheitsgebot sprachen und auch dann noch Spaß untereinander hatten, wenn Hänneschen, Bärbelchen und der Rest der Lindenholzbande den Schlaf des Pinocchio schliefen.
    Nur Koch erwies sich als schweigsamer, sonderlicher alter Knochen, über den man trotz der vielen Jahre, die er schon dabei war, wenig wußte. Den Schutzmann spielte er nicht ganz von ungefähr. Schlemmer erfuhr in den ersten Wochen, daß Koch früher bei der Polizei gewesen war, in irgendeiner Spezialeinheit. Der Alte sprach nie darüber. Seine Frau war tot, Kinder hatte er keine. Er war zu jedermann höflich, ohne freundlich zu sein. Etwas an ihm hielt alle auf Distanz, und genauso schien er es zu wollen. Gut, sagten die anderen, wenn er nicht will, muß er nicht wollen. Wenn seine einzigen Freunde die Puppen sind, um die er sich so närrisch kümmert, soll er sich halt in Holz und Stoff verlieren. Jeder Jeck ist anders, und in Köln sind Toleranz und Ignoranz Geschwister.
    Es war mit Schlemmers Eitelkeit unvereinbar, daß er nicht wenigstens versuchte, den Alten zu knacken.
    Anfangs gab er sich unterwürfig und appellierte an Kochs reichhaltige Erfahrung. Koch brachte ihm ein paar Tricks bei, und ziemlich schnell zeigte sich, daß die beiden miteinander konnten. Schlemmer, der Aufschneider, und Koch, der Sonderling, zwei Egomanen vor dem Herrn, begegneten einander mit Respekt und einer gewissen Neigung, dem anderen zuzuhören. Kochs Bereitschaft erwies sich letzten Endes als die größere, und nachdem Schlemmer einmal gewonnen hatte, verfiel er wieder in sein altes Muster und folgte dem leuchtenden Pfad der Selbstverehrung. Sie machten einige Abende miteinander nieder, in deren Verlauf Koch alles über Schlemmer und Schlemmer nichts über Koch erfuhr, weil er ihn nach nichts fragte. Nach einer Weile äußerte sich Koch in unbestimmter Weise darüber, einen Freund gefunden zu haben, was Schlemmer großmütig verbuchte, ohne sich im mindesten verpflichtet zu fühlen.
    Jetzt, als er unter der Glocke aus Zwielicht, die Köln gegen den Himmel warf, nach Hause trabte, beschäftigten Schlemmer andere Dinge. Beispielsweise, daß sich seine Kontakte zur großen Bühne in einer Kneipenbekanntschaft erschöpften, die er bis heute nicht hatte aktivieren können. Daß er bei der Bank mit Dreißigtausend in der Kreide stand und ihm das Geld durch die Finger rann. Daß er offenbar nicht die Voraussetzungen mitbrachte, seinen eigenen Ruhm noch zu erleben, weil er vorher Opfer des Geldverleihers werden würde, der ihm vergangenes Jahr aus der Patsche
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