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Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst
Autoren: Frank Schätzing
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geholfen hatte. Mittlerweile, da Schlemmer das Geld zwar ausgegeben, aber nicht zurückgezahlt hatte, wurden ihm Gerüchte von zwei Jugoslawen zugetragen, die Schlemmers schöne gerade Nase in eine Serpentine verwandeln sollten. Daß seine Herzallerliebste überdies die Koffer gepackt hatte, was Schlemmer erst nach einer Woche aufgefallen war, spielte da schon keine Rolle mehr.
    Das Geld. Das raubte ihm alle Lebensfreude. Klamm war er immer schon gewesen. Aber nicht pitschnaß mit Haien drumherum. Er mußte sich irgendwas einfallen lassen, oder der Speimanes würde bald stottern, weil dem Mann unter der Puppe die Zähne fehlten.
    Im günstigsten Fall.
    Zwei Wochen vergingen, in denen Schlemmer auf fünf Parties eingeladen war. Er lernte eine Sängerin kennen, beschloß, sich zu verlieben und verliebte sich. Ansonsten tat sich nichts.
    Im Hänneschen spielten sie zwei Stücke, »Sand für den Sandmann« und »Butz widder Butz«. Über Langeweile konnten sich die Spieler kaum beklagen. Fünf Tage die Woche volles Programm, vormittags um elf Proben, sechzehn Uhr Kindervorstellung, abends dann die großen Kinder. Der Applaus war gewaltig. Schlemmer rechnete zehn Prozent davon für die anderen und den Rest für sich. Schleierhaft, warum man ihn so schlecht bezahlte bei soviel Applaus.
    Als er in seinen Mantel schlüpfte, um zu seiner Neuerwerbung zu entwischen, kam ihm Koch mit schlurfenden Schritten hinterher.
    »Hast du ein Stündchen Zeit?« fragte er tonlos.
    Hoppla, dachte Schlemmer.
    »Bißchen schlecht, Koch. Ganz schlecht.« Er kehrte entschuldigend die Handflächen nach außen. »Die Liebe. Mich hat’s erwischt. Volle Breitseite.«
    »Ja«, sagte Koch. Er schöpfte tief und entschlossen Atem. »Mich auch.«
    Schlemmer kam zu der Überzeugung, daß Koch mit einem Problem aufwartete. Das war lästig. Vor Verlegenheit wurde ihm ganz kalt. »Tut mir wirklich leid. Du warst doch auch mal jung, oder?«
    Koch zögerte, dann nickte er kurz und heftig, den Blick abgewandt. Schlemmer fühlte sich immer unbehaglicher.
    »Nun, morgen abend?« Er grinste. »Oder Dienstag morgen, zu Mittag oder Abend – Mittwoch früh? – O nenne mir die Zeit, doch laß es höchstens drei Tage sein!«
    »Was?« fragte Koch verwirrt.
    »Othello, dritter Aufzug, dritte Szene, Desdemona. Im Ernst, was hältst du von morgen abend nach der Vorstellung? Wir gehen in die Keule.«
    Dann sah er Kochs Hände zittern.
    »Schlemmer«, flüsterte der Alte. »Nicht wenigstens ein paar Minuten?«
    Schlemmer erstarrte, den Mantel halb übergezogen, den linken Arm abgewinkelt, um in den schlaff herunterbaumelnden Ärmel schlüpfen zu können. Bleib doch noch ein bißchen, hörte er seine Mutter sagen, das letzte Mal, daß er sie gesehen hatte, bevor sie gestorben war. Damals war er nicht geblieben.
    Er zog den Mantel vor der Brust zusammen.
    »Ein Viertelstündchen kann ich erübrigen. Wohin?«
    »Egal.«
    »Also in die Keule?«
    »Meinetwegen.«
    Schlemmer betrachtete den Alten ratlos. Dann holte er ihm seinen Mantel und bugsierte Koch nach draußen.
    Schweigsam trotteten sie die paar Schritte hinüber zur Tränke, setzten sich an die Theke und bestellten Kölsch. Koch sah elend aus. Zwischen den mageren Schultern ruhte sein Kopf wie in einer Hängematte, die verhindern sollte, daß er sich zu den Füßen gesellte.
    »Ich war heute beim Arzt«, sagte der Alte. »Ergebnisse abholen.«
    »Hm.« Schlemmer drehte sein Glas zwischen Daumen und Zeigefinger. »Und? Was hat der Doc gesagt? Daß du hundert Jahre alt wirst?«
    Koch starrte in sein Glas.
    »Er hat gesagt, ich habe Krebs.«
    Schlemmer drehte sein Glas weiter. Er wollte das nicht hören.
    »Krebs im fortgeschrittenen Stadium. Die ständigen Bauchschmerzen, weißt du?«
    »Nein. Du hast mir nie was von Bauchschmerzen erzählt, verdammt!«
    »Ach ja.« Koch lächelte schwach. »Nicht mal dir.«
    Schlemmer straffte sich. Er legte Koch den Arm um die Schulter und zog ihn an sich.
    »Das wird schon wieder, Koch«, verkündete er im Brustton der Überzeugung. Perlweißes Lachen spaltete sein Gesicht. »Ich hab von Leuten gehört, die …«
    »Nichts hast du gehört. Trotzdem lieb von dir.«
    »Mensch, Koch. Das ist nicht das Ende!«
    Koch schwieg eine Weile. Dann ließ er einen Fünfer über den Tresen rollen und stand auf.
    »Doch«, sagte er ruhig. »Danke für deine Zeit, Schlemmer. Das ist das Ende.«
    Übertrieben zu sagen, daß Schlemmer sich in den folgenden Tagen um Koch bemühte. Bemühungen lagen
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