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Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst
Autoren: Frank Schätzing
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gleich dreimal auf die Klingel. Der Summer antwortete prompt. Schlemmer fügte sich und erklomm krummgetretene Holzstiegen in einem zugigen Treppenhaus, dessen Beleuchtung etagenweise ausgefallen war. Wieder ängstigten ihn die Schatten, so daß er froh war, sich plötzlich Koch gegenüber zu sehen, der oben am Geländer lehnte und zusah, wie er mühsam an Höhe gewann.
    »Ich dachte, du kommst nicht mehr«, sagte Koch. Es klang nicht enttäuscht oder böse, eher schwang ein feiner ironischer Unterton mit.
    So schlecht sah er nicht mal aus, der Alte. Auf alle Fälle besser als am Tag, da sie das letzte Mal zusammen in der Keule gewesen waren.
    »Aber Koch!« Schlemmer nahm beherzt die letzten Stufen, breitete jovial die Arme aus und drückte den Alten an sich. Koch reichte ihm gerade bis zur Brust, so daß er auf den furchigen, kahlen Hinterkopf herabsehen konnte. »Du kennst mich doch.«
    Koch löste sich und lächelte.
    »Ja, eben. Komm rein.«
    Neugierig sah sich Schlemmer um, während Koch voranging. Sie durchschritten einen kafkaesken Schacht von Diele, in dem sich nichts befand als ein dunkler Teppichboden und ein schmales Bücherregal. Koch stieß eine Tür am anderen Ende auf und trat unter verlegenem Räuspern beiseite, um seinen Besuch an sich vorbeizulassen.
    Schlemmer wollte seinen Augen nicht trauen.
    Dicht bevölkert, war sein erster Eindruck. Dutzende, wenn nicht Hunderte menschlicher und menschenähnlicher Wesen, die sich auf engstem Raum zusammendrängten, sitzend, stehend, neben-und aufeinander, von den Wänden herabglotzend, reglos und dennoch auf unheimliche Weise belebt, so, als habe hier eben noch eine bizarre Party stattgefunden, bis zum Augenblick, da der Herr und Meister – Koch – das Zimmer betrat und alles verstummte und erstarrte. Unzählige Augenpaare starrten die Eintretenden an oder knapp an ihnen vorbei, breit lachende Münder öffneten sich neben spitzen Schnauzen. Es hätte ein Höllenspektakel herrschen müssen, aber alles Hörbare beschränkte sich auf das hohle Ticken einer Uhr und Kochs Hüstelei.
    Schlemmer drehte sich um und um.
    »Verdammt«, flüsterte er. »Die hatten recht!«
    »Wer hat recht?« wollte Koch wissen.
    »Die vom Hänneschen.« Oh, das war peinlich! Vielleicht hätte er sich die Bemerkung verkneifen sollen. »Es heißt da – ich meine, einige sind der Ansicht – deine einzigen Freunde seien die Puppen. Und jetzt …«
    Koch nickte.
    »Da haben sie tatsächlich recht. Willst du was trinken?«
    »Was hättest du denn anzubieten?«
    »Verschiedenes. Setz dich.«
    Schlemmer blickte sich ratlos um, weil sämtliche Plätze von Puppen aller Größenordnungen okkupiert schienen. Aber das war nur der erste Eindruck. Hatte man sich an die kuriose Versammlung gewöhnt, fielen gemütliche Sessel ins Auge, die offenbar den Lebenden vorbehalten waren. Schlemmer ließ sich in ein tiefdunkelrotes Etwas fallen, das ihn liebevoll verschlang, so daß seine spitzen Knie vor ihm aufragten wie die Klippen der Skelhg Islands.
    Koch trat von einem Bein aufs andere. »Ich könnte dir ein Bier bringen.« Nun, da der Besuch da war, schien er nicht recht zu wissen, was er mit ihm anfangen sollte.
    »Ein Bier wäre fein«, nickte Schlemmer.
    Der Alte betrachtete ihn gedankenverloren. »Nein, zu profan«, beschied er unvermittelt. »Bier trinken kann man immer. Ich weiß nicht, wann ich sterben werde, Schlemmer, vielleicht morgen, vielleicht nächstes Jahr. Weißt du was? Wir sollten uns was gönnen.«
    Er öffnete ein Schränkchen und entnahm ihm eine große, grüne Flasche und zwei Whiskeygläser.
    »Jameson 1780. Special Reserve. Gerade richtig, um sich in guter Gesellschaft zu betrinken.«
    Schlemmer zuckte zusammen. Koch wollte sich betrinken? Das konnte ja heiter werden.
    »Einen nehm ich gerne«, sagte er vorsichtig und bekam das Glas vollgeschenkt, daß ihn schwindelte. Koch nahm ihm gegenüber Platz und beließ die Flasche in Griffweite.
    »Alsdann.«
    Sie tranken und tauschten Belanglosigkeiten aus. Das Fatale war, daß Schlemmer nicht vorhatte, lange zu bleiben, andererseits diese alten irischen Whiskeys über alles liebte. Es kam, wie es kommen mußte. Koch stemmte sich zwischen zwei Bemerkungen über das Unwesen der 0,3-Liter-Stangen in Altstadtkneipen hoch, griff nach der Flasche, und erneut entsprang dem dunkelgrünglänzenden Hals das Wasser des Lebens. Er schmatzte ein paarmal genießerisch und blinzelte über den Rand des geschliffenen Kristalls in eine unbestimmte
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