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Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst
Autoren: Frank Schätzing
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hat das nicht geträumt! Der Mann war da. Und jetzt ist er verschwunden. Hat sich ins Gebüsch geschleppt. Liegt da irgendwo, droht zu verbluten, kann nicht mal um Hilfe rufen. Ist vielleicht schon tot.
    Er muß ihn finden!
    Aber wie soll er in dieser pechschwarzen Nacht irgend etwas sehen?
    Gabbert versucht sich zu erinnern, was während der Fahrt geschehen ist. Sie haben sich unterhalten. Worüber? Er hat es vergessen. Nichts von dem Gespräch ist in ihm haften geblieben. Wie hat der Mann ausgesehen? Auch das weiß er nicht mehr. Nur, daß sie mit einem kolossalen Lastwagen einen Beinahezusammenstoß hatten, an dessen Ende Trümmer geblieben sind und seine endlose Verwirrung.
    Er läuft die Böschung hoch zur Straße. Der Laster ist weg. Weit und breit kein Auto. Gabbert sieht nach rechts und links, aber der schwarze Schacht, der die vertraute Welt bei Nacht verschluckt, gibt nichts preis. Nur ein leises Seufzen wie aus weiter Ferne dringt herüber. Wind, der durch die Äste streift. Sonst nichts.
    Wie lange hat er da gelegen? Das Glas seiner Armband— uhr ist gesprungen, sie ist stehengeblieben, die Zeiger stehen auf viertel nach zwei. Er kann Stunden ohnmächtig gewesen sein oder Minuten. Unmöglich zu sagen.
    Und wo genau, zum Teufel, ist er überhaupt?!
    Nach einigen Orientierungsversuchen kommt Gabbert zu dem Schluß, er müsse in unmittelbarer Nähe der Kreuzung Berrenrather Straße sein. Nicht allzu weit, um Hilfe zu holen. Irgend jemanden aus dem Bett klingeln oder einen Wagen anhalten, sobald ihm einer entgegenkommt.
    Falls einer hält.
    Er, Gabbert, der nie Anhalter mitgenommen hat: unversehens ist er selber einer. Aber gut, wer hilft, dem soll geholfen werden! Und er hat geholfen! Hat er. Dieses eine Mal zumindest.
    Irgend etwas sagt ihm, er hätte besser daran getan, die Fahrerflucht-Variante auszuprobieren.
    Egal. Zu spät.
    Ergeben trottet er los, immer den Straßenrand entlang. Was soll er sich beklagen? Er kann dem Himmel danken, daß er bei dem Crash nicht draufgegangen ist. Wahrscheinlich hat er eine Gehirnerschütterung, na, wenn’s weiter nichts ist. Er zumindest ist noch mal davon-gekommen. Was aus dem anderen geworden ist, daran wagt er allerdings nicht zu denken.
    Die Strecke zieht sich.
    Mit der Zeit empfindet Gabbert zunehmende Niederge-schlagenheit und Bedrückung. Nie hätte er gedacht, wie einsam und gottverlassen so eine Straße bei Nacht sein kann. Die Dunkelheit ist wie schwarzer Nebel, sie verhüllt alle bekannten Strukturen, so daß er sich nach einer Weile fragt, ob er schon zu weit gelaufen ist. Aber das ist nun völliger Unsinn! Selbst wenn die biblische Finsternis über Köln gekommen wäre, an einer breiten, beleuchteten Kreuzung geht man nicht einfach vorbei. Es ist eben so, daß man die Welt zu Fuß anders erlebt als mit Zweihundertzwanzig hinterm Steuer, die Ellbogen durchgedrückt, Promille im Blick, selig.
    Gabbert stellt fest, daß er Angst hat.
    Plötzlich hat er das deutliche Gefühl, in eine Falle geraten zu sein. Die Eingebung überkommt ihn mit solcher Heftigkeit, daß er sich übergeben muß. Endloses Würgen, Husten und Keuchen, Blut und Erbrochenes. Dann taumelt er weiter, den klammen Griff der Furcht ums Herz spürend, ringt nach Atem und betet um die Straßenbeleuchtung der Kreuzung oder die entgegenkommenden Scheinwerfer eines Autos.
    Vor seinen Augen scheinen die Silhouetten der Bäume einen wiegenden Tanz aufzuführen. Das Wispern in den Ästen wird zu einem Brausen, einem phantastischen Hohngelächter über seine Hilflosigkeit. Gabbert ohne Golf. Wie unwürdig. Wie elend, dieser Torso, dem die Natur zwei steife Auswüchse gab, um darauf voranzustaksen, jede Ameise ist schneller, jede Raubkatze eleganter, jede Mikrobe überlegen.
    Gabbert geht zügiger, beginnt zu rennen, von Panik ergriffen. Er hätte längst auf die nächste Abzweigung stoßen müssen, eine Ampel, wenigstens ein Schild. Aber nichts! Nichts ist, wie es sein sollte! In endloser Folge reihen sich die Bäume aneinander, jeder nächste könnte der vorherige sein, wie sie da entstehen aus der schwarzen Formlosigkeit und kurzzeitig Gestalt annehmen, unmittelbar, bevor er an ihnen vorüberhetzt. Jedes Gestrüpp, jeder Farn, jeder Grashalm scheint sich auf seine Kosten zu amüsieren, die Position zu wechseln, ihn immer wieder aufs Neue zu erwarten, so daß er ebensogut rückwärts gehen könnte oder im Kreis oder auch stehenbleiben und einfach niedersinken, sich ausstrecken und die Augen
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