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Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst
Autoren: Frank Schätzing
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dir?« staunt P.
    Und dann schlägt er sich in plötzlicher Erkenntnis an die Stirn. »Aber natürlich!«
    »Was ist natürlich?« will der Kommissar wissen.
    »Der Mörder. Ich kenne den Mörder.«
    »Lassen Sie Vorsicht walten!« A. springt auf und hebt beschwörend die Hände. »Dieser Autor ist von der rachsüchtigen Fraktion, er wird uns noch allesamt verschwinden lassen – äh, festhalten!«
    »Ach was, es war nicht der Autor!«
    »Nicht der Autor? Wer dann?«
    »Der Mörder ist die Person, die diese Geschichte liest.«
    Schweigen.
    Alle starren Sie an.
    Ja, Sie! Sie lesen das Buch doch gerade, oder? Und, sehen Sie noch einen, der’s liest? Im Ernst, Sie sind gemeint.
    Offengestanden, ich bin auch verblüfft. Da setzt man sich nun hin und schreibt was Hübsches für Sie, und wie danken Sie die Mühe? Murksen den armen Tünnes ab.
    Wie? Sie leugnen?
    P. läuft dunkelrot an, und Sie sehen sich aufgespießt vom Zeigefinger des Philosophen. »Dieses Rumpeln, wenn die Welt sich dreht«, ruft er Ihnen mit Donnerstimme zu, »kommt immer, wenn Sie eine Seite umblättern und uns für die Dauer einer Sekunde aus der Waagerechten werfen. Jedesmal müssen wir uns einer neuen Horizontalen anpassen. Sie haben die Macht, das Werden und Vergehen der Figuren in diesem Buch vermittels ihres angefeuchteten Fingers in gänzlich andere Bahnen zu lenken, als sie dem Autor vorschwebten …«
    Ganz richtig! Passen Sie gefälligst auf beim Blättern!
    »Aber mehr noch, Sie haben bewußt auf den Tod des armen Tünnes hingezielt, als Sie nämlich, was noch gar nicht lang zurückliegt, das Buch aus der Hand legten.«
    »Legten? Brutal zuklappten und neben sich pfefferten!« ergänzt der Kommissar mit fieberglänzenden Augen.
    »Wodurch«, schloß P, »eine solch gewaltige Erschütterung entstand, daß die Friseuse, die dem Tünnes soeben das Messer aus nichts anderem als rein kosmetischen Gründen an den Hals gesetzt hatte, ihr Gleichgewicht verlor und ihm denselben dabei durchschnitt.«
    »Sie haben es extra getan«, sagt der Kommissar.
    Stimmt das? Sie haben es extra getan? Pfui Spinne!
    Ach, Sie hatten kein Motiv?
    Geben Sie auf. Sehen Sie das Lächeln der Überlegenheit auf den Zügen des Kommissars? Herr Kommissar, hatte die Person, die diese Zeilen liest, ein Motiv?
    »Selbstverständlich. He, Sie, der Sie da lesen, Sie werden doch nicht leugnen wollen, daß Sie schon lange nicht mehr über Tünnes und Schäl-Witze lachen konnten. Darum haben Sie den Tünnes umgebracht. Damit Ihnen keiner mehr diese Witze erzählen kann. Wollen Sie das leugnen? Wollen Sie tatsächlich leugnen, das Buch vorhin rüde aus der Hand gelegt zu haben? Geben Sie auf. Widerstand ist zwecklos.«
    Tja, lieber Leser – da wären wir. Sie sind der Mörder. Fühlen Sie sich höflichst verhaftet und seien Sie so gut, sich unverzüglich auf den Waidmarkt abzuführen.
    Was, Sie wollen fliehen?
    Er will fliehen. Macht was! Ich hab euch nicht erfunden, damit ihr Maulaffen feilhaltet.
    »Hiergeblieben!« schreien A. und P. wie aus einem Munde, während der Kommissar nach seiner Waffe fingert.
    »Ich kann aber nichts machen!« heult er. »Dieser Schwach-kopf von Autor hat mir die Knarre weggenommen.«
    Ach richtig.
    »Der Leser haut ab.«
    »Er geht uns durch die Lappen!«
    »Er versucht, in die nächste Geschichte zu entwischen.«
    »Haltet ihn!«
    Zu spät.
    Sie sind schneller.

Vrrooomm!
    Gabberts schwarzer Golf GTI!
    Wie abgefeuert, Militärring, zwei Uhr morgens, bohrt sich der Wagen ins Ungewisse, hundertneunzig auf dem Tacho, Gabbert hinterm Steuer mit durchgedrückten Ellbogen, Promille im Blick, selig.
    Bäume, Buschwerk, Straße entstehen fahlweiß, um gleich wieder zu erlöschen. Momentaufnahmen, verschmiert von Geschwindigkeit. Die Scheinwerfer sägen Beweise aus der Nacht, daß alles noch ist, wie es sein sollte, alles an seinem Platz.
    Die Indianer sehen das anders.
    Der Hohlweg, den du entlanggehst, sonnengefleckter Grund zu deinen Füßen, der Baum, unter dessen tiefhängendem Astwerk du hindurchreitest, die Savanne in der Mittagsglut, sie sind vielleicht nur Trugbilder aus Licht und Staub. Hüte dich anzunehmen, was du siehst, sei erwiesen. Erwiesen ist lediglich, daß der Sehende blind ist für die Welt hinter den Formen. Starrst du bei Nacht in denselben vertrauten Hohlweg, endet alle Erfahrung in einem schwarzen Trichter. Immer wieder magst du dir einreden, dort hinten schlängele sich der Weg weiter nach Süden, vorbei an einem krummen Baum, der
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