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Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst
Autoren: Frank Schätzing
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ruft der Kommissar verblüfft.
    »Wirklich nicht?« fragt P. scharf.
    Der Kommissar reißt die Augen auf. Natürlich ist da eine Küche. Wahrscheinlich hat er beim ersten Mal einfach nicht richtig hingesehen.
    »Sicher hat er richtig hingesehen«, verkündet P. »Herrschaften, ich habe eine schlimme Nachricht. Es ist genau, wie ich vermutet habe. Wir sind sämtlich Opfer eines heimtückischen Individuums geworden, das uns nämlich in eine Geschichte gepackt hat. Nur die für die Handlung relevanten Orte wurden bis jetzt beschrieben, also sind auch nur sie in dieser Geschichte existent. Der Rest ist, was unser Freund A. als Nebel bezeichnet und weshalb er laufend Autobahnen sperren läßt, die es realiter gar nicht gibt. Sehen Sie, meine Herren, ich mußte einen Weg finden, den Lump zu überrumpeln, der uns das angetan hat, und es ist famos gelungen. Ha! Bewies nicht schon Flann O’Brien in Swim-two-birds, daß es einer Figur in einem Buch bisweilen glückt, den eigenen Autor zu foppen? Ha!«
    »Aber jetzt ist die Küche doch da«, stammelt der Kommissar.
    »Weil er sie schnell hat entstehen lassen, als er merkte, daß er überlistet worden ist«, fährt P. ihn an. »So ein Halunke! Will uns glauben machen, dies wäre die reale Welt. Wenn wir aus dem Fenster gucken, wird sich Köln mittlerweile kraft seiner Fabuliertüchtigkeit zur Gänze manifestiert haben. – Aber wie wär’s, Herrschaften, fahren wir nach Frankreich oder Holland, wo er sich nicht auskennt, da ist’s gewiß wieder so neblig wie vorhin in meiner Küche. Und weiter, was tut A. hier im Central, der kommt doch da normaler-weise niemals hin, den Blödsinn kann sich doch nur einer ausgedacht haben! Dann Tünnes, eine de facto hypothe-tische Witzfigur, die plötzlich in M.s Frisierstuhl auftaucht. Wie schamlos plündert er das Volksgut, dieser saubere Autor, schämt sich nicht, eines der beliebtesten Kölner Originale zu opfern um des schnöden – Festhalten! –«
    Es wankt und rumpelt.
    »… um des schnöden Thrills wegen! Schließlich dieses Zusammentreffen, wie jämmerlich gedrechselt! Kaum daß ich mich meines Abscheus zu erwehren weiß. Es fehlte nur noch zur Komplettierung der commedia, daß jetzt W. M. hereinspazierte.«
    W. M. spaziert herein.
    Er ist ein sehr beliebter Volksschauspieler und sehr alt, und darum ist es eigentlich eine Schweinerei, ihn ins Central zu bemühen, aber ich fühle mich bemüßigt, P. klarzumachen, wer hier die Puppen tanzen läßt.
    »Bleiben Sie, wo Sie sind«, ruft der Kommissar W. M. zu. Er geht hinter einem der Tische in Deckung und zieht seine Waffe. »Wir haben hier einen Verrückten.«
    »Den P.?« fragt W. M. mit brüchiger Theaterstimme.
    »Nicht den P.!« fährt ihm A. dazwischen. »Wir sind von irgendeinem Schmierfink in diese Farce gezwungen worden, einem größenwahnsinnigen Kriminalschriftsteller. Als ginge ich jemals ins Central!«
    Der Kommissar richtet mit sinistrem Blick seine Pistole auf mich. Mir wird das irgendwie zu bunt. Schon hat er keine Pistole mehr.
    »Ich habe keine Pistole mehr«, sagt der Kommissar folgerichtig mit hängender Kinnlade.
    »Soso«, grinst P. voller Ingrimm und tritt mutig ein Stück vor, dorthin, wo er mich am Laptop vermutet. »He, Schriftsteller! Wen willst du als nächstes verschwinden lassen, Attila von einem Literaten? Aber zu spät, wir sind dir auf die Schliche gekommen, Unhold. Wir wissen, daß wir nur Figuren in deiner Geschichte sind. Doch freu dich nicht zu früh; die Zeiten sind vorbei, da Schriftsteller nach Belieben Hinz und Kunz durch Dick und Dünn jagen konnten. Ihr habt nur Leid über die Welt gebracht! Warum durften Romeo und Julia nicht leben, warum hatte der Glöckner von Notre Dame einen Buckel, das arme Schwein, warum ist die edle Desdemona des Mohren Wahn geopfert worden? Alles nur, weil ihr es wolltet in eurem dekadenten Überdruß, gelangweilt vom Gleichmaß der Welt oder sie beklagend für erlittenes Unrecht. Festhalten!«
    Das Übliche.
    »Was können eure Helden dafür, wenn ihr nichts zu beißen habt oder zuviel davon und dafür zu kleine Eier«, fährt R unerbittlich fort. »Und jetzt der Tünnes, ein harmloser Protagonist rheinischen Frohsinns. Mordbube!«
    Der meint mich! Wie er es ausspuckt, das Wort. Ganz wie die Amerikaner einen Kaugummi in die Gosse speien.
    »Der Tünnes ist tot?« röchelt W. M. in verspäteter Fassungslosigkeit und besinnt sich – er, der dem Tünnemann so oft Gestalt verlieh – erzitternd seines öffentlich
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