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Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst
Autoren: Frank Schätzing
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vollzieht. Ein ständiger Nachhall ist das, und es liegt einzig an uns, welchem Klang wir lauschen. Nachts, wenn wir die Stühle hochstellen, sind sie noch warm von immer neuen, einzigartigen und bedeutsamen Geschichten. Dann erkalten sie langsam, und all die wichtigen Gespräche, die auf ihnen ausgetragen wurden, gleiten ab in die Bedeutungslosigkeit. Bis man sie wieder herumdreht und andere Menschen darauf Platz nehmen mit anderen -wichtigen Themen. Und soll ich dir was sagen, mein Junge? Ich mag das Bild der umgedrehten Stühle. Es beruhigt mich. Es bringt mir Frieden.
    Jetzt, da er der letzte Gast war, geisterten dem Sammler noch einmal diese Worte durch den Kopf, und er versuchte, sich ihrem Sinn zu nähern. Aber ebensowenig, wie ihm die Schicksale der Menschen wirklich etwas bedeuteten, vermochte er zu begreifen, daß die Leere zuvor bevölkerter Räume die beredteste aller Geschichten ist. Und so ging der Sammler mit nichts nach draußen auf die Friesenstraße als der Leere dort, wo sein Herz hätte schlagen müssen.
    Hinter ihm wurde auch sein Stuhl hochgestellt, als letzter, neben den der Spinnwebfrau.

Ertappt!
    Und wieder ein Aufschrei, ein Toter, ein Krimi. Diesmal ist es der Tünnes, durch brutales Intervenieren eines Rasier-messers von der Seite seines sehbehinderten Alter Ego gerissen. Die Legende erfährt ihre Mystifizierung. Tünnes entschwebt, gekränzt von einer hopfengelben Aura, gen Säuferhimmel, rote Nase voran, während Schäl allein durch angegilbte Anekdötchen stolpert, fade Heimatseligkeit verbreitend, ein Kölsch ohne Alkohol, ein Köbes ohne schlechte Kinderstube, ein amputierter Dom, ein Witz.
    Werte Leser dieser, ich komme nicht umhin zu sagen, blasphemischen Zeilen, da dunkle Mächte sich erkühnen, unserem Tünnes ans Leder zu gehen, rüstet euch! Tünnes tot, das geht zu weit. Was blüht uns morgen? Hänneschen als Junkie, Bärbelchen als Mädchen vom Gewerbelchen, Speimanes von Skinheads aus der Bahn gestoßen?
    Wie immer in derlei Situationen taucht ein Kommissar auf und strengt eine Untersuchung an, die nichts ergibt. Ergo – das ist uns nicht neu, wir haben Originelleres erwartet, indes: Geduld! – hat er sich bald im Rathaus einzufinden.
    Schnitt zum obligatorisch aufgebrachten Kommunal-politiker. B., der unumstrittene Ed Koch des Big Ädäppel, in Würde expandiert unter der schweren Bürde vieler goldverschlungener Kettenglieder, beklagt in ausgezeich-netem Hochdeutsch den Verfall der Sitten. Mehr noch! – Unvermittelt läßt er sich dazu hinreißen, von einer Kumulation der Delikte zu sprechen und verwirrt den armen Kommissar, der ’73 wegen einer Sechs in Latein von der Kreuzgasse mußte, mit fein erlernten Fremdwörtern und handfesten Drohungen. Falls der Mord am Tünnes nicht vor dem Elften im Elften aufgeklärt sei, fliege der Kriminologe aus dem Amt wie weiland der selige Majewski aus dem siebzehnten Stock eines namentlich nicht näher genannten höchsten deutschen Hochhauses.
    Der Fall Majewski sei gelöst, gibt der Kommissar zu bedenken.
    Unter den Tisch gekehrt!, schreit B. unter plötzlicher Verwendung eines sich zum Urknall der Gemütlichkeit dehnenden SCH, was uns zwar seiner allertiefsten Besorgnis versichert, ohne uns indes zu beruhigen.
    Ein Zucken geht über die Züge des Kommissars. Nahaufnahme. Vielleicht, daß wir genüßlich einem Schweißtröpfchen folgen, bis es sich im Gewebe seines nicht ganz blütenweißen Kragens jäh entformt.
    Ein Kommissar?
    Ein armer, armseliger Wicht! Lausiger Dreck unter dem Fingernagel des großen Sherlock. Ein Monstrum wirft seinen rotgeränderten Schatten auf die Stadt, und er verzagt. Derselbe, der den Tünnes umgebracht hat, wird weiterhin Blut ins Buch der Kölner Geschichte schmieren, wenn nicht unverzüglich etwas geschieht, und er? Schaudernd hasten wir schon durchs Veedel, unruhige Blicke hinter uns werfend, während die Polizei sich nicht entscheiden kann, ob sie devot oder debil dreinschauen soll.
    B. hat absolut recht. So jeht das nischt weiter!
    Da aber auf unseren Kommissar allein kein Verlaß ist, schicken wir ihn ins Café Central. Dort umweht ihn sogleich der Odem großer Gedanken. Er wird ins Restaurant O.T. geführt (eine Abkürzung: ohne Teller, schlußfolgert unser Kriminaler), wo ihn der große Drache erwartet, Kölner Buddha, Lehrmeister der verfeinerten Askese, Platzanweiser im Club der toten Denker, peitschenknallender Philo-sophenbändiger mit hochverehrtem Publikum, kurz, Doktor R, der gerade
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