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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen
Autoren: H Coben
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durch die geschlossene
Glasschiebetür gesprungen. Er hatte Superman gespielt. Ich kann mich noch gut an die Schreie und das Blut erinnern. Er musste mit mehr als vierzig Stichen genäht werden. Später ist er einer dieser Internet-Start-up-Zillionäre geworden. Ich glaube nicht, dass man ihn noch »der Depp« nennt, aber man kann nie wissen.
    An der Ecke stand das Haus der Marianos. Es hatte immer noch diese scheußliche schleimig-gelbe Farbe, und der Plastikhirsch stand auch noch im Vorgarten. Angela Mariano, unser hiesiges Flittchen, war zwei Jahre älter als wir und uns damals wie ein fast überirdisches, Ehrfurcht einflößendes Wesen vorgekommen. Als ich Angela beim Sonnen in ihrem Garten in einem der Schwerkraft trotzenden Oberteil mit Nackenträger beobachtet hatte, waren die ersten schmerzlichen Schübe tiefen, hormonell bedingten Verlangens aufgetreten. Mir war buchstäblich das Wasser im Mund zusammengelaufen. Angela hatte dauernd mit ihren Eltern gestritten und heimlich im Schuppen hinter dem Haus geraucht. Ihr Freund hatte ein Motorrad. Letztes Jahr bin ich ihr zufällig in Midtown Manhattan begegnet. Ich hatte erwartet, dass sie furchtbar aussehen würde – man hört immer wieder, dass das mit den Mädchen passiert, bei deren Anblick man erste Lustgefühle verspürt hat –, aber Angela sah fantastisch aus und machte einen glücklichen und zufriedenen Eindruck.
    Vor Eric Frankels Haus am Downing Place 23 schwenkte ein Rasensprenger langsam hin und her. Eric hatte seine Bar-Mizwa im Chanticleer in Short Hills als Raumfahrtparty gefeiert, als wir beide in die siebte Klasse gingen. Die Decke war angestrahlt gewesen wie ein Planetarium – Sternbilder an einem schwarzen Himmel. Auf meiner Einladungskarte stand, dass ich am »Apollo 14«-Tisch saß. In der Mitte des Saals stand ein geschmücktes Raketenmodell auf einer grünen, mit Pflanzen und seltsamen Tieren dekorierten Landeplattform. Die Kellner in
realistisch anmutenden Raumanzügen sollten die Mitglieder der Mercury 7 darstellen. Wir wurden von »John Glenn« bedient. Zwischendurch bin ich für eine Stunde mit Cindi Shapiro in der Kapelle verschwunden und habe mit ihr rumgemacht. Es war mein erstes Mal. Ich wusste nicht, was ich tat. Cindi schon. Ich weiß noch, wie herrlich und überraschend es war, als ihre Zunge mich auf unerwartete Weise liebkoste. Aber ich weiß auch noch, wie verwundert ich war, als nach etwa zwanzig Minuten, na ja, Langeweile einsetzte – ein verdutztes »Und jetzt?« in Verbindung mit einem naiven »Ist das alles?«.
    Als Cindi und ich verstohlen, etwas verknittert und in bester Post-knutsch-Stimmung, zum »Apollo 14«-Tisch von Cape Kennedy zurückkehrten (die Herbie Zane Band spielte gerade Fly Me to the Moon ), nahm mein Bruder Ken mich beiseite und wollte Einzelheiten erfahren. Ich erzählte sie ihm natürlich nur zu gerne. Er belohnte mich mit diesem gewissen Lächeln, und wir klatschten uns ab wie zwei Footballspieler. Als wir dann nachts in unserem Etagenbett lagen, Ken oben, ich unten, und in der Stereoanlage Don’t Fear the Reaper von Blue Öyster Cult lief (Ken’s absoluter Lieblingssong), erläuterte mir mein großer Bruder die Geheimnisse des Lebens aus der Sicht eines Neuntklässlers. Später sollte ich feststellen, dass er in den meisten Punkten danebenlag (so übertrieb er zum Beispiel die Bedeutung der Brüste), trotzdem kann ich mir ein Lächeln nie ganz verkneifen, wenn ich an diese Nacht zurückdenke.
    »Er lebt …«
    Ich schüttelte den Kopf und bog an dem Haus, in dem die Holders früher gewohnt hatten, nach rechts in die Coddington Terrace ein. Es war derselbe Weg, den Ken und ich zur Grundschule, der Burnet Hill Elementary School, gegangen waren. Von hier hatte damals eine gepflasterte Abkürzung zwischen zwei Häusern hindurch geführt. Ich fragte mich, ob es den Pfad
noch gab. Meine Mutter – alle, selbst die Kinder der Nachbarschaft hatten sie Sunny genannt – war uns immer mehr oder weniger heimlich gefolgt. Ken und ich hatten die Augen verdreht, wenn sie sich hinter den Bäumen versteckte. Mir war es peinlich gewesen, aber Ken hatte nur die Achseln gezuckt. Mein Bruder war cool genug gewesen, so etwas durchgehen zu lassen. Ich nicht.
    Ich spürte einen Stich im Herzen und ging weiter.
    Vielleicht war es nur Einbildung, doch ich meinte, die Leute würden anfangen, mich anzustarren. Die Fahrräder, die dribbelnden Basketbälle, die Rasensprenger und -mäher, die Schreie der
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