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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen
Autoren: H Coben
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las vor: »Schambeinnarben, Dehnungsstreifen, Veränderungen an Brust- und Gebärmuttergewebe«, sagte er. »Und das war alles nicht alt. Hier, guck mal. Die Episiotomienarbe war noch sehr ausgeprägt.«
    Ich starrte die Worte an.
    »Julie ist nicht nur nach Hause gekommen, weil sie sich mit Ken treffen wollte. Sie hatte sich nach einer sehr harten Zeit wieder aufgerappelt. Sie hatte wieder zu sich selbst gefunden, Will. Sie wollte dir die Wahrheit sagen.«
    »Was für eine Wahrheit?«
    Aber er schüttelte den Kopf und fuhr fort. »Sie hätte es dir schon früher erzählt, aber sie war nicht sicher, wie du darauf reagieren würdest. Dass du dich so wenig gegen die Trennung gewehrt hast … das meinte ich, als ich gesagt habe, du hättest um sie kämpfen müssen. Du hast sie einfach gehen lassen.«
    Unsere Blicke trafen sich.
    »Julie hat sechs Monate vor ihrem Tod ein Kind bekommen«, sagte der Ghost. »Sie und das Baby, ein Mädchen, haben mit Sheila Rogers zusammengewohnt. Ich glaube, an dem Abend wollte Julie es dir endlich sagen, aber dann ist dein Bruder dazwischengekommen. Sheila hat Julies Tochter auch geliebt. Als Julie umgebracht worden war und dein Bruder fliehen musste, wollte Sheila das Kind behalten. Und Ken, na ja, Ken hat gemerkt, wie nützlich ein Baby ist, wenn man international gesucht wird. Er hatte keine Kinder. Sheila auch nicht. Das war besser als jede Verkleidung.«

    Die Worte, die Ken mir zugeflüstert hatte, fielen mir wieder ein …
    »Kannst du mir folgen, Will?«
    Dich habe ich mehr verletzt und hintergangen als alle anderen.
    Die Stimme des Ghost drang durch den Nebel. »Du bist kein Ersatz. Du bist Carlys leiblicher Vater.«
    Ich glaube, ich hatte aufgehört zu atmen. Ich starrte ins Leere. Verletzt und hintergangen. Mein Bruder. Mein Bruder hatte mir mein Kind genommen.
    Der Ghost stand auf. »Ich bin nicht aus Rache zurückgekommen, nicht mal um der Gerechtigkeit willen«, fuhr er fort. »Aber es ist nun mal so, dass Julie gestorben ist, weil sie mich schützen wollte. Ich habe versagt. Ich habe geschworen, ihr Kind zu retten. Das hat mich elf Jahre gekostet.«
    Ich erhob mich mühsam. Wir standen nebeneinander. Passagiere strömten aus dem Flugzeug. Der Ghost schob mir etwas in die Tasche. Einen Zettel. Ich kümmerte mich nicht weiter darum.
    »Ich habe Pistillo das Überwachungsvideo geschickt, damit du Ruhe vor McGuane hast. Das alte Beweismaterial hatte ich damals schon im Haus gefunden und behalten. Nora und du, ihr seid jetzt sicher. Ich hab mich um alles gekümmert.«
    Weitere Passagiere kamen aus der Maschine. Ich stand da, wartete und hörte zu.
    »Denk daran, dass Katy Carlys Tante ist. Und die Millers sind ihre Großeltern. Lass sie an ihrem Leben teilhaben. Hörst du?«
    Ich nickte, und dann kam Carly aus dem Gate. In mir wurde alles ganz taub. Die Haltung des Mädchens. Wie … wie ihre Mutter. Carly sah sich um, und als sie Nora erkannte, erschien ein absolut faszinierendes Lächeln auf ihrem Gesicht. Es brach mir das Herz. Mein Herz zerplatzte in tausend Stücke. Das Lächeln. Denn dieses Lächeln war das Lächeln meiner Mutter. Es
war Sunnys Lächeln, wie ein Echo aus der Vergangenheit, ein Zeichen, dass meine Mutter – und Julie – nicht ganz ausgelöscht waren.
    Ich unterdrückte ein Schluchzen und spürte eine Hand auf meinem Rücken.
    »Geh jetzt«, flüsterte der Ghost und schob mich sanft auf meine Tochter zu.
    Ich sah mich um, doch John Asselta war bereits verschwunden. Also tat ich das Einzige, was ich tun konnte. Ich ging zu der Frau, die ich liebte, und zu meinem Kind.

Epilog
    Später am Abend, nachdem ich Carly geküsst und zu Bett gebracht hatte, stieß ich plötzlich auf den Zettel, den der Ghost mir in die Tasche gesteckt hatte. Es waren nur die ersten Zeilen eines Zeitungsartikels:
    KANSAS CITY HERALD
     
    Toter hinterm Steuer
     
    Cramden, Mo. – Cray Spring, ein Beamter der Polizei in Cramden, wurde tot in seinem Privatfahrzeug aufgefunden. Spring war offenbar einem Raubüberfall zum Opfer gefallen. Nach Angaben der Polizei wurde er erdrosselt. Außerdem fehlte seine Brieftasche. Der Wagen stand auf einem Parkplatz hinter einer Bar. Police Chief Evan Kraft zufolge gibt es derzeit keine Tatverdächtigen. Die Ermittlungen dauern an.

Danksagungen
    Der Autor dankt den folgenden Personen für ihre fachliche Kompetenz: Jim White, Executive Director von Covenant House Newark; Anne Armstrong-Coben, M.D., Medical Director, Covenant House Newark; Frank
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