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Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen
Autoren: Romain Sardou
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elektrischen Taschenlampe hinterher und brüllte ewig herum, bis er ihn hier wiederfand, wo er die Finger der Toten ableckte. Er ging nach Hause und rief uns an.«
    »Sonst hat er nichts bemerkt? Keinen Lärm, keine verdächtigen Bewegungen?«
    »Nichts. Der Typ ist total geschockt.«
    »Irgendwelche Spuren in der Umgebung des Tatorts?«
    »Ich habe zwei Männer mit Hunden losgeschickt und den Hubschrauber. Bis jetzt nichts. Wir nehmen Reifenabdrücke auf allen Straßen, die hierherführen. Aber bei diesen nassen Straßenbelägen …«
    Bahrenträger trafen beim Colonel und beim Lieutenant ein. King überwachte die unter größten Vorsichtsmaßnahmen erfolgende Hebung der ersten Leiche: ein Mann, weiß, ziemlich alt. In dem Augenblick, als man ihn hochhievte, entwich unter ihm eine Dampfwolke. Es war die Wärme, die die anderen Leichen gespeichert hatten. Ekelhaft.
    Der Hubschrauber entfernte sich und der Lärm der Rotorblätter verhallte. Jetzt erst wurde Sheridan die unglaubliche Stille bewusst, die den Schauplatz des Verbrechens einhüllte. Seine Männer waren stumm. Sie hielten sich von der Grube fern und blieben seltsam nahe beieinander. Normalerweise gingen sich die verschiedenen Polizeieinheiten demonstrativ aus dem Weg. Die Inspektoren blickten hochnäsig auf die Streifenbeamten herab und wurden ihrerseits von den Kriminaltechnikern mit Verachtung gestraft; und die örtlichen Polizisten sonderten sich noch entschiedener ab, um über alle Welt herzuziehen. Hier aber waren die Gruppen unverkennbar gemischt, man reichte sich Zigaretten und warf sich stillschweigend Blicke zu.
    Der Colonel dachte bei sich, dass er das gleiche Unbehagen empfand wie seine Männer. Er war so erschüttert wie an den Tagen, an denen ein Verbrechen an einem Kind entdeckt wurde. Die machten einem am meisten zu schaffen.
    Energisch beschloss er, sich zusammenzureißen.
    »Garcia, lass die Leichen in die Leichenhalle des Krankenhauses bringen. Es hat keinen Zweck, sie ins Polizeilabor mitzunehmen. Wir haben nicht genügend Autopsiebetten und nicht genügend Kühlfächer. Ich will kein überflüssiges Hin und Her. Sollte irgendwelches Material fehlen, dann lass es in die Leichenhalle schaffen.«
    »Verstanden, Chef.«
    »Ich werde den Katastrophen- und Seuchenschutz kontaktieren, damit sie uns zusätzliche Bereitschaftsmediziner schicken. Ich will nicht, dass King auch nur eine Sekunde verliert. Die Identifizierung der Leichen hat absoluten Vorrang. Sobald ich im Büro bin, werde ich den Gouverneur verständigen.«
    Sheridan riss sich vom Anblick der Leichen los und machte kehrt, um zu seinem Wagen zurückzugehen.
    »Welche Art von Untersuchung leiten wir ein?«, fragte ihn Garcia.
    Er wollte wissen, ob die Leitung des Falls der Kriminalabteilung oder der Abteilung für Sonderermittlungen übertragen werden würde.
    »Haben wir es mit Mord oder Selbstmord zu tun?«
    »Wer kann das schon sagen?«, antwortete Sheridan.
    Er warf einen letzten Blick auf den Tatort.
    »Vierundzwanzig Menschen können nicht einfach umkommen, ohne jede Menge Spuren zu hinterlassen. Ob sie nun in dieser Grube gestorben sind oder ob man sie danach hineingekippt hat. Wir müssen warten, bis wir mehr handfeste Indizien haben. Organisier eine Besprechung mit allen Abteilungen um neun Uhr. Bis dahin sehen wir bestimmt klarer.«
    »Verstanden.«
    »Und, Garcia, niemand betritt diesen Tatort! Vor allem nicht die Presse!«
    »Die nötigen Vorkehrungen sind bereits getroffen. Bis gleich, Chef!«
    Sheridans Gedanken wandten sich sofort anderen Fragen zu. Seine Aufgabe bestand nicht mehr darin, Verhöre oder Untersuchungen vor Ort durchzuführen. Der Chef der Staatspolizei war für das Kommando, die Logistik und die Überwachung des Schriftverkehrs zuständig. Seine Aufgabe war es, die Informationen bis in höchste Sphären weiterzuleiten, Ermittlungsteams zu bilden und die Verantwortung für diese Teams zu übernehmen. Doch das Sammeln von Informationen, die Einschätzung und Beurteilung der Fakten und die brillanten Lageberichte, all diese Arbeiten waren heute nicht mehr sein Fach. Er durfte sich nicht mehr damit befassen, wenn er den Rest seines Jobs ordentlich erledigen wollte. Ein agilerer, hartnäckigerer Typ als er würde an seiner Stelle das Rätsel dieser vierundzwanzig Leichen lösen.
    Als er in sein Auto stieg, nahm der Schneefall zu.
    »Das ist nicht schön«, murmelte der Polizeischüler schüchtern, während sie die Baustelle verließen.
    »Nein. Es ist sogar
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