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Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen
Autoren: Romain Sardou
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schlichtweg widerwärtig.«
    Sheridan holte eine Schachtel Zigaretten aus seinem Parka.
    »Schon für einen einzigen gewaltsamen Tod muss eine Menge im Leben schiefgehen, man muss den falschen Leuten über den Weg laufen oder einfach Pech haben … aber das Ganze gleich mehr als zwanzigmal!«
    Er zündete sich eine Zigarette an. Die erste des Tages. Die einzige, deren Wirkung er noch spürte.
    »Entweder brichst du in Tränen aus, oder du kotzt …«

2
    Vier Stunden später
     
    Bei Tagesanbruch hatte sich das schlechte Wetter weiter verschlimmert. Das Thermometer war um zehn Grad gefallen und der Horizont wurde weiß.
    Im Wald von Farthview Woods ließ die Nacht weiterhin nichts von der Umgebung erkennen - nichts , so nah es auch sein mochte. Kein Lichtstrahl, kein einziges Lebenszeichen in Sichtweite bis hin zu den Lichtern der Städte, deren Widerschein zwar in den tief hängenden Wolken schimmerte, hier jedoch durch die eng stehenden Reihen der Tannenbäume nicht zu erkennen war.
    Ein Wilhelm Grimm hätte inmitten dieser Schwärze, die stark der Finsternis in den Märchen vergangener Zeiten ähnelte, wohl geschrieben: » Selbst das Auge eines Wolfs hätte nicht darin aufzuleuchten vermocht, so sehr hüllte die Dunkelheit ihn ein …«
    Derselbe Grimm wäre allerdings einen Augenblick später vor Überraschung aus den Schuhen gekippt: Zwei winzige blendende Lichtkegel tauchten aus dem Nichts auf.
    Ein Auto.
    Es rollte im Schritttempo. Doch obwohl es langsam fuhr, schlingerte sein Hinterteil, von der geringsten Lenkbewegung mitgerissen, unaufhörlich hin und her.
    Das Auto war so ungeeignet für die herrschenden Verhältnisse wie nur möglich: ein Volkswagen Käfer Baujahr 1974, mit einem 1300 Kubikmotor, in Illinois angemeldet, orange und für seine jahrzehntelangen Dienste auf dem Asphalt noch recht gut in Schuss.
    Drinnen umklammerte ein Mann das Lenkrad. Er war achtundzwanzig Jahre alt, hatte helle Haut und gelockte, blonde Haare und sehr schwarze Augen hinter einer kleinen Brille. Seine Gesichtszüge waren recht hübsch, seine Figur ziemlich kräftig. Er beugte sich nach vorne und drückte die Stirn an die Windschutzscheibe. Das ganze Wageninnere war beschlagen. Das Gebläse am Armaturenbrett brachte nur einen lauen Hauch hervor und zeichnete zwei Halbkreise auf die Scheibe, die kaum so groß wie Hände waren.
    Die Hinterbank verschwand unter Koffern und Kartons. Eine Straßenkarte des südlichen New Hampshire war über einem Rucksack und einer Bomberjacke auf dem Beifahrersitz ausgebreitet. Der Tageskilometerzähler (nicht serienmäßiges Extra, eingebaut vom Besitzer des Käfers in den Achtzigern) zeigte 668 Kilometer an.
    Betäubt vom Dröhnen des Motorblocks folgte der junge Mann mit den Augen den Flocken, die sich an seine Scheinwerfer hefteten. Immer wieder sah er nur noch Weiß vor sich. Eine wenig stabile Mauer. Die letzte bewohnte Behausung, die letzte öffentliche Straßenlaterne und das letzte Auto, das ihm begegnet war, lagen nun fünfundvierzig Minuten hinter ihm. Er war mutterseelenallein auf der Welt. Und ziemlich verloren.
    Sein Name lautete Frank Franklin. Bis vor kurzem noch hatte er als Aushilfsprofessor am Fachbereich Anglistik der Universität von Chicago gearbeitet, eine Stelle, die er seit drei Jahren ohne Begeisterung ausgefüllt hatte. Er war am 13. Juni 1978 in New Jersey geboren und in Wellesley, Massachusetts aufgewachsen. Seine Mutter lehrte Geschichte und Politische Wissenschaften am Wellesley College, einer Lehranstalt für junge Frauen, die den Ruhm dieser Gemeinde in der Nähe von Boston begründete. Eda Franklin war eine Figur wie aus einem Roman: eine Feministin und emanzipierte Frau, wie man sie sich heute als Mutter gar nicht mehr vorzustellen wagt. Sie war eine eingefleischte, unverbesserliche Junggesellin und hatte mit knapp vierzig beschlossen, »sich ein Kind zu leisten«. Einen Vater suchte sie sich nach ihren höchst persönlichen Kriterien aus und es war der jüngere Bruder einer ehemaligen Schülerin, auf den, ohne dass er gefragt wurde, ihre Wahl fiel. Ein strohdummer Typ, aber sehr stark, ein Footballspieler, der vor Gesundheit strotzte. Sie verführte ihn und gab ihm dann, nachdem der Samen gelegt war, den Laufpass. Der arme Kerl erfuhr nie, dass er ein Kind gezeugt hatte. Wenn sie bis dahin in der Mutterschaft die erste Entfremdung der Frau gesehen hatte, so wurde diese Ansicht nun durch die Ankunft des kleinen Frank korrigiert. Mit der Geburt Franks
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