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Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen
Autoren: Romain Sardou
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verzichtete Eda außerdem auf das Schreiben. Es kam für sie nicht mehr infrage, ein Buch zu erschaffen, jetzt sollte es ein Mann sein. In ihrem Hochmut erschien ihr diese Aufgabe als durchaus angemessen.
    Frank wuchs in ihrer Bibliothek auf. Er studierte am Babson College in der Nähe von Wellesley, dann in Harvard. Mit vierundzwanzig Jahren hatte er die Taschen voller Diplome und wurde Mitglied des Lehrkörpers an der Universität von Chicago im Fachbereich Literatur. Keine drei Jahre später machte er durch eine erste Veröffentlichung auf sich aufmerksam. Nicht etwa durch einen Roman, wie seine Mutter gewünscht hätte, sondern durch einen Essay, eine Studie über die Vorgehensweise großer Romanschriftsteller, über ihr Leben und ihren Alltag vor, während und nach der Abfassung ihrer Hauptwerke. Diese von einem New Yorker Verleger veröffentlichte Doktorarbeit wurde von der Kritik positiv aufgenommen und beschleunigte seine Karriere als Professor. An Weihnachten wurde eine Professorenstelle für das zweite Studienjahr Kreatives Schreiben in New Hampshire frei, und seine Akte landete ganz oben auf dem Bewerbungsstapel. Er wurde als Nachfolger eines Professors auserwählt, der vor dem Winter mitten im Semester gestorben war, weshalb ihm gerade einmal drei Wochen blieben, um Chicago zu verlassen. Auch dieser Schritt enttäuschte seine Mutter. Sie wollte, dass ihr Sohn jede Lehrtätigkeit einstellte, um sich ganz auf seine Arbeit als Autor zu konzentrieren. Sie war mittlerweile emeritiert und lebte in einer Kleinstadt in Arizona, wo sie ihre letzten Lebensjahre der Lektüre von Joseph Conrad und Honoré de Balzac widmete. Frank war überzeugt, dass sie heimlich wieder mit dem Schreiben angefangen hatte.
    Plötzlich leuchtete zwischen den Tannen von Farthview Woods auf dem verschneiten Straßenrand rechts von dem Käfer ein dreieckiges Schild im Scheinwerferlicht auf. Das Verkehrszeichen warnte vor Wildwechsel. Seit unzähligen Kilometern begegneten Frank nur noch Gefahrenschilder wie dieses oder Hinweise auf »Privatbesitz«.
    Seiner Straßenkarte zufolge befand er sich irgendwo zwischen den Gemeinden Northwood, Deerfield und Nottingham, zwanzig Kilometer von Concord in Richtung Rochester entfernt. Er griff mit einer Hand nach der Karte. Der Weg, den er eingeschlagen hatte, war nun der letzte, der noch möglich war. Franklin warf einen prüfenden Blick auf die Tankanzeige. Er hatte genügend Benzin, um Manchester zu erreichen.
    »Noch fünf Kilometer und ich werfe das Handtuch. Basta. Ich rufe morgen dort an …«
    Plötzlich aber wurde ein hölzernes Viereck im Lichtschein sichtbar.
    Universität von Durrisdeer .
    Die Tafel besaß keine Ähnlichkeit mit einem offiziellen staatlichen Hinweisschild, sie war kaum mehr als ein altes Eichenbrett mit einer Inschrift in verschlungener Frakturschrift, das von einem Baum hing. Man dachte unwillkürlich an das Schild über einem verwunschenen Schloss, wie man es in jeder Touristenbroschüre über Neuengland findet.
    Universität von Durrisdeer .
    Der Name genügte, damit Franks Finger sich vom Lenkrad lösten. Endlich war er angekommen.
    Eine halbe Meile weiter wurde ein orangefarbener heller Lichtfleck sichtbar. Eine Laterne erhellte ein imposantes Portal aus Schmiedeeisen. Nicht unbedingt das, was man von einer Universität im Jahr 2007 erwartete. Der Platz erweiterte sich zu einem Halbkreis, das Gitter wurde von zwei Säulen aus alten Steinen eingerahmt. Sie wurden überragt von Zinnlampen, die bestimmt aus der Zeit der Gaslaternen stammten. Die Frontseite kündigte das »Schloss« und nicht die Universität von Durrisdeer an. Die eisernen Windungen und Verstrebungen bildeten symmetrische Arabesken. Frank schaltete in den Leerlauf und ließ das Auto ausrollen.
    Hinter dem Gitter? Schwarze Nacht.
    Der junge Mann öffnete seine Wagentür. Er näherte sich einem Kasten, der vor dem Portal auf einem Ständer montiert war und der einem Briefkasten ähnelte. Dort entdeckte er, was er erhofft hatte: eine Sprechanlage. Er drückte auf den Knopf. Sogleich antwortete ihm eine männliche Stimme:
    »Ja?«
    »Mein Name ist Frank Franklin«, sagte der junge Mann. »Ich komme wegen …«
    »Ach ja! Ich habe Sie schon erwartet!«, unterbrach ihn die Stimme. »Rühren Sie sich nicht von der Stelle. Ich bin sofort bei Ihnen. Ein paar Minuten.«
    Das Knistern der Sprechanlage verstummte.
    Franklin nickte und kehrte zu seinem Auto zurück.
    Das Armaturenbrett des Käfers war nur rudimentär
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