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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein
Autoren: Michael Connelly
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Schätze, wir hätten uns doch keine Gedanken zu machen brauchen, ob der Bezirksstaatsanwalt noch Anklage erheben wird.«
    Bosch nickte. Es gäbe noch ein paar abschließende Untersuchungen und etwas Schreibkram, aber der Fall würde zu den Akten gelegt. Er würde schließlich unter »auf anderem Weg abgeschlossen« eingestuft, was nichts anderes hieß, als dass es zwar nicht zu einem Prozess und einer Verurteilung gekommen war, der Fall aber trotzdem unter die Rubrik »gelöst« fiel.
    »Wahrscheinlich nicht«, sagte er.
    Edgar klopfte ihm auf die Schulter.
    »Unser letzter gemeinsamer Fall, Harry. Wir trennen uns auf dem absoluten Höhepunkt.«
    »Ja. Sag mal, hast du bei der Einsatzbesprechung heute Morgen eigentlich das mit der Staatsanwaltschaft einfließen lassen und dass das Ganze unter das Jugendstrafrecht fällt?«
    Nach einer Weile sagte Edgar: »Ja, könnte sein, dass ich etwas in der Art erwähnt habe.«
    »Hast du ihnen auch erzählt, dass wir uns umsonst den Arsch aufgerissen haben, so, wie du dich auch mir gegenüber geäußert hast? Dass der Staatsanwalt wahrscheinlich nicht mal Anklage gegen Stokes erheben würde?«
    »Ja, könnte sein, dass ich so etwas gesagt habe. Wieso?«
    Bosch antwortete nicht. Er stand auf und ging ans Fenster. Er konnte das Capitol Records Building sehen und dahinter das Hollywood-Schild auf dem Hügel. Auf die Seite eines Gebäudes ein paar Straßen weiter war ein Anti-Raucher-Zeichen gemalt, ein Cowboy mit einer Zigarette im Mundwinkel und dazu der warnende Hinweis, dass Rauchen zu Impotenz führen kann.
    Er drehte sich zu Edgar um.
    »Hältst du hier die Stellung, bis der OIS anrückt?«
    »Klar, sicher. Die sind sicher ganz schön sauer, die zwölf Stockwerke hier rauflatschen zu müssen.«
    Bosch ging zur Tür.
    »Wo willst du hin, Harry?«
    Bosch verließ das Zimmer, ohne zu antworten. Er nahm die Treppe am anderen Ende des Flurs, damit er auf dem Weg nach unten nicht den anderen begegnete.

53
    Die noch lebenden Mitglieder der ehemaligen Familie waren wie die Ecken eines Dreiecks um das Grab gruppiert. Sie standen auf einem sanft abfallenden Hang des Forest Lawn, Samuel Delacroix auf der einen Seite des Sarges, seine Ex-Frau auf der anderen. Sheila Delacroix’ Platz war am Ende des Sargs gegenüber dem Prediger. Mutter und Tochter hatten schwarze Regenschirme gegen den leichten Nieselregen aufgespannt, der seit dem Morgen fiel. Der Vater hatte keinen. Er wurde zunehmend nasser, und keine der beiden Frauen machte Anstalten, ihren Regenschutz mit ihm zu teilen.
    Der Regen und das Rauschen des nahen Freeway übertönten das meiste von dem, was der gemietete Prediger sagte, bevor es an Boschs Ohren drang. Auch Bosch hatte keinen Regenschirm und stand in einiger Entfernung unter der schützenden Krone einer Eiche. Irgendwie fand er es passend, dass der Junge auf einem Hügel und bei Regen ein richtiges Begräbnis bekam.
    Er hatte im gerichtsmedizinischen Institut angerufen und sich erkundigt, welches Bestattungsunternehmen das Begräbnis durchführte, worauf man ihn nach Forest Lawn verwiesen hatte. Außerdem hatte er bei dieser Gelegenheit erfahren, dass es die Mutter des Jungen gewesen war, die Anspruch auf die sterblichen Überreste erhoben und das Begräbnis arrangiert hatte. Bosch war wegen des Jungen gekommen und weil er die Mutter noch einmal sehen wollte.
    Arthur Delacroix’ Sarg sah aus, als wäre er für einen Erwachsenen angefertigt worden. Er war grau lackiert und hatte gebürstete Chromgriffe. Für einen Sarg war er schön, wie ein frisch poliertes Auto. Der Regen bildete Perlen auf seiner Oberfläche und glitt dann in die Grube darunter. Trotzdem war er für die Knochen zu groß, und irgendwie störte das Bosch. Es war, als sähe man ein Kind in schlecht sitzenden Kleidern, die es offensichtlich von jemandem geerbt hatte. Es war, als sagte es auf jeden Fall etwas über das Kind aus. Dass es bedürftig war. Dass es zweitrangig war.
    Als der Regen stärker wurde, hob der Prediger einen Schirm von seiner Seite hoch und hielt das Gebetbuch nur noch mit einer Hand. Ein paar Sätze schafften es unversehrt bis zu Bosch. Er sprach von dem höheren Königreich, in das Arthur eingegangen war. Es erinnerte Bosch an Golliher und seinen Glauben an dieses Königreich, der trotz der Gräueltaten, die er Tag für Tag untersuchte und dokumentierte, ungebrochen geblieben war. Bosch war sich noch nicht so sicher, was das anging. Er war noch ein Bewohner des niederen
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