Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein
Autoren: Michael Connelly
Vom Netzwerk:
flüsterte er.
    »Was war das gerade, Harry?«
    »Nichts. Ich esse schnell noch was und fahre dann los. Bist du da?«
    »Ja, ich bin hier. Ich sage dir Bescheid, wenn sich irgendwas tut.«
    »Okay.«
    Er beendete das Gespräch und stieg aus dem Auto und dachte dabei über Stokes’ Chancen nach, ungeschoren davonzukommen. Als ihm beim Betreten des warmen Diner die Gerüche von heißem Fett und Frühstück entgegenschlugen, merkte er plötzlich, dass ihm der Appetit vergangen war.

52
    Gerade als Bosch aus dem The Grapevine genannten, tückischen Freewaygeschlängel herunterkam, trällerte sein Telefon. Es war Edgar.
    »Harry, ich versuche dich schon die ganze Zeit zu erreichen. Wo steckst du?«
    »Ich war oben in den Bergen. Bin keine Stunde mehr von dir entfernt. Was gibt’s?«
    »Sie haben eine Peilung für Stokes. Er haust im Usher.«
    Bosch dachte nach. Das Usher war ein Hotel aus den 30er Jahren, das in einer Parallelstraße des Hollywood Boulevard lag. Nachdem es jahrzehntelang als Billigabsteige und Zentrum der Prostitution gedient hatte, waren die Sanierungsmaßnahmen am Boulevard irgendwann bis zu ihm vorgedrungen und hatten es plötzlich wieder im Wert steigen lassen. Es wurde verkauft, dicht gemacht und für eine umfassende Renovierung und Sanierung vorbereitet, damit es sich als elegante Granddame wieder zum neuen Hollywood zählen konnte. Doch dann war das Projekt von der städtischen Baubehörde, die in der Sache das letzte Wort hatte, verschleppt worden. Und diese Verzögerung hatten sich diverse Nachtgestalten zunutze gemacht.
    Während das Hotel Usher seiner Wiedergeburt entgegenharrte, wurden die Zimmer seiner dreizehn Etagen von allerlei zwielichtigen Gestalten mit Beschlag belegt, die sich auf der Suche nach einer Unterkunft an Zäunen und Sperrholzabsperrungen vorbeigemogelt hatten. In den vergangenen zwei Monaten war Bosch zweimal im Usher gewesen, um nach Verdächtigen zu suchen. Es gab im ganzen Gebäude keinen Strom. Es gab auch kein Wasser. Aber die Hausbesetzer benutzten die Toiletten trotzdem, weshalb es im Usher stank wie in einer gigantischen Kloake. In keinem der Zimmer gab es Türen oder Möbel. Die Hausbesetzer benutzten zusammengerollte Teppiche als Betten. Unter solchen Bedingungen eine Durchsuchung durchzuführen war ein Albtraum. Ging man einen Flur hinunter, war jede Tür offen und somit eine potentielle Deckung für einen Schützen. Behielt man die Türen im Auge, trat man möglicherweise auf eine Spritze.
    Bosch schaltete die Warnblinkanlage ein und gab Gas.
    »Woher wissen wir, dass er dort ist?«, fragte er.
    »Von letzter Woche, als wir nach ihm gesucht haben. Zwei Drogenfahnder hatten dort zu tun und bekamen irgendwie mit, dass er ganz oben im dreizehnten Stock haust. Man muss ganz schön Schiss haben, wenn man in einem Haus, in dem der Aufzug kaputt ist, in den obersten Stock zieht.«
    »Okay, und wie hast du dir das Ganze vorgestellt?«
    »Ich rücke mit vier Streifenteams und den beiden Drogenfahndern an. Wir fangen unten an und arbeiten uns nach oben vor.«
    »Wann schlagt ihr zu?«
    »Wir werden gleich eine Einsatzbesprechung abhalten, um alles abzuklären, dann ziehen wir los. Wir können nicht auf dich warten, Harry. Wir müssen uns diesen Kerl schnappen, bevor er untertaucht.«
    Bosch überlegte kurz, ob Edgars Eile berechtigt war oder ob er ihm nur heimzahlen wollte, dass er ihn bei diesem Fall mehrmals von den Ermittlungen ausgeschlossen hatte.
    »Okay«, sagte er schließlich. »Hast du ein Funkgerät dabei?«
    »Ja, wir benutzen Kanal zwei.«
    »Gut, ich stoße dann später zu euch. Zieh deine Weste an.«
    Letzteres sagte er nicht, weil er fürchtete, Stokes könnte bewaffnet sein, sondern weil er wusste, ein schwer bewaffneter Trupp Polizisten in der Enge eines dunklen Hotelflurs bedeutete höchste Gefahr.
    Bosch machte das Handy aus und legte noch einen Zahn zu. Bald hatte er die nördliche Stadtgrenze überquert und war im San Fernando Valley. Der Samstagverkehr war schwach. Er wechselte zweimal den Freeway, und ein halbe Stunde nach dem Telefonat mit Edgar rauschte er vom Cahuenga Pass herab nach Hollywood. Als er an der Highland vom Freeway fuhr, konnte er ein paar Straßen weiter südlich das Hotel Usher aufragen sehen. Seine Fenster waren einheitlich dunkel, die Vorhänge angesichts der bevorstehenden Umbaumaßnahmen abgenommen.
    Bosch hatte kein Funkgerät dabei, und er hatte vergessen, Edgar zu fragen, wo der Kommandoposten für die Durchsuchung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher