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Kein bisschen Liebe

Kein bisschen Liebe

Titel: Kein bisschen Liebe
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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Landung an. Und die Dunkelheit schließt sich über mir. Ich spüre die Nähe des Wahnsinns. Die Panik. Es gibt Augenblicke von höchster Klarheit. Wenn man diesen Punkt erreicht, könnte man wahnsinnig werden, weil man sieht: Es gibt keine Antworten mehr. Es ist, als käme man ans Ende des Weges und wüsste, dass man keinen einzigen Schritt mehr machen kann. Und umkehren ist unmöglich. Ich entspanne mich. Atme flach. Ich glaube, dass der Wahnsinn sich entfernt. Ich bin sehr müde. In dem kleinen Park an der Ecke hole ich meinen Schwanz raus und fange an zu pissen. Es ist eine Grünfläche mit drei oder vier gusseisernen Bänken und ein paar Meertraubenbäumen. Ich uriniere mit viel Druck. Ein langer, intensiver, kräftiger Strahl. Zwei dünne, junge Flittchen stehen da und vergnügen sich, als wären sie unter der Dusche. Sie ähneln dem Provinzmädchen, das mich im Billardsalon angesehen hat. Nur ein bisschen dünner. Und bester Laune. Ich bepisse sie, als wäre mein Schwanz ein unerschöpflicher Gartenschlauch. Sie sind durchweicht von dem warmen Urin und lachen schallend. Es ist spät in der Nacht. Einige Leute gehen ruhig an uns vorbei, aber niemand sieht hin. Da taucht ein Polizist auf. Ein großer, strenger, kräftiger Schwarzer. Er bedeutet mir, mit dem Pissen aufzuhören und zu ihm zu kommen. Autsch, denke ich, jetzt gibt’s Stunk. Ich höre auf zu pissen, schüttle meinen Dingerich, packe ihn ein und gehe rüber. Der Typ fragt mich, ob ich verrückt geworden sei.
    »Nein, Kumpel, die mögen das.«
    »Antworten Sie korrekt.«
    Er genießt seine Uniform und seine Pistole und seinen schwarzen Gummiknüppel und sein Gasspray und seine Handschellen und sein Walkie Talkie. Er steht vor mir wie der Supermacho aus einem Film, breitbeinig, sehr streng. Spektakulär.
    »Okay, dann halt ohne Kumpel. Die mögen das.«
    Und ich weiß nicht was noch. Ich kann mich nicht erinnern. Wahrscheinlich habe ich weitergeschlafen.
     

Untreu bis in den Tod
    Der Strand war um sieben Uhr morgens absolut menschenleer. Das Meer blau, durchsichtig und warm. Im Juli sind die Sonne und die Hitze so stark, dass das Wasser am Ufer über Nacht nicht abkühlt. Ich schwamm langsam vor mich hin. Es ging kein Wind. Nur eine leichte Brise, die nicht ausreichte, um die Oberfläche zu kräuseln. Es war wie in einem Schwimmbecken.
    Ich gehe gern früh schwimmen. Mein Vater brachte uns immer bei Tagesanbruch an den Strand. Mein Bruder und ich haben zwischen sechs und sieben Uhr morgens schwimmen gelernt. Manchmal erinnere ich mich in aller Klarheit an jene Zeit. Aber meine Gefühle von damals steigen nicht wieder auf. Es ist nur ein angenehmer Film. Ich sehe alles vor mir, bis ins kleinste Detail. Und ich werde unruhig. Ob ich wohl blockiert bin? Na ja, auch egal. Fünfzig Jahre sind wie ein Wirbelsturm über mich hinweggefegt seit jenen behaglichen morgendlichen Schwimmstunden.
    Über eine halb von Sand bedeckte Straße kam ein Typ an. Ein kahlköpfiger Mann um die fünfzig. Er trug eine blaue Hose und ein weißes Hemd. Ein Busfahrer, dachte ich. Der Busbahnhof ist ganz in der Nähe. Der Typ suchte den Schatten einer Kokospalme. Es gab eine kleine Sanddüne, die von Gras und lila Blumen bewachsen war. Er ging die Düne hoch, setzte sich hin und fing an zu weinen. Er zog ein Taschentuch hervor. Blickte hierhin und dorthin. Niemand da. Er weinte weiter. Ich schwamm etwa zweihundert Meter vom Ufer entfernt, und er konnte mich nicht sehen. Der Glanz der Sonne, die noch sehr niedrig stand, brach sich auf der Wasseroberfläche wie in einem Spiegel. Ich trieb inmitten dieses Lichtstreifens, vom Ufer aus unsichtbar.
    Der Typ wischte sich ein ums andere Mal die Augen ab, weinte aber immer weiter. Er hatte die Ellenbogen auf die Knie gestützt.
    Ich schwamm noch ein Stück. Sachte. Ohne Spritzer. Und dabei behielt ich ihn stets im Auge. Schließlich stand er auf. Er schneuzte sich. Steckte das Taschentuch in die hintere Hosentasche. Er zog den Gürtel fest und ging langsam über dieselbe Straße zurück. Er wirkte auf mich traurig und erschöpft.
    Ich stieg aus dem Wasser. Es war wohl erst kurz nach acht, aber die Sonne brannte schon unerbittlich herunter. In der Ferne tauchte eine Gruppe von Leuten mit Hunden auf. Ich ging zu einer Kokospalme etwa dreißig Meter vom Ufer entfernt und suchte Schutz in ihrem Schatten. Dort hatte ich meinen kleinen Rucksack mit einem Handtuch, einer Kappe, der Sonnenbrille, den Gummilatschen und einem Buch. Ich ging
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