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Kein bisschen Liebe

Kein bisschen Liebe

Titel: Kein bisschen Liebe
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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hahaha.«
    »Red keinen solchen Schwachsinn! Warum bist du nur so brutal?!«
    »Wenn wir einen funktionierenden Seismografen hätten, würde der das Beben sicher anzeigen.«
    Julia ist still und trinkt ihren Kaffee. Sie zieht sich hastig an. Schließlich ringt sie sich doch zu der Frage durch:
    »Stimmt das mit dem Erdbeben, oder war das ein Witz von dir?«
    »Es stimmt, aber vergiss es.«
    »Wenn wir wenigstens in eine Wohnung im Erdgeschoss ziehen könnten.«
    »Wenn es ein Erdbeben gibt, ist das erste, was in Havanna einstürzt, diese Dachterrasse.«
    »O wie schrecklich! Sag so was nicht. Du bist ein Ungeheuer!«
    »Ich bin praktisch veranlagt und realistisch, wie ein Tiger.«
    »Die Terrasse stürzt nicht ein. Wir werden hier noch alt. Dieses Haus und dieser Dreck sind für immer und ewig.«
    »Nichts ist für immer und ewig, Julia. Du nicht und ich nicht. Vielleicht stirbst du heute Nachmittag an einem Herzinfarkt.«
    »Nein, umgekehrt. Vielleicht stirbst du und ich bringe dich morgen zur Einäscherung und werfe die Asche auf den Müll.«
    »Bravo. Wenigstens hörst du auf mich. Verbrennen sollen sie mich. Und die Asche auf den Müll.«
    »Du bist ein Unglücksrabe.«
    »Ein Tiger! Einsam im Dschungel.«
    »Dumm und brutal. Das bist du.«
    So geht das die ganze Zeit. Anspannung und Spott zwanzig Stunden am Tag. Die übrigen vier sind zum Schlafen. Kaum ist Julia weg, packe ich einen kleinen Rucksack und breche auf zum Strand. Ich mache einen langen Spaziergang bis zum Bahnhof. Auf der einen Seite, einem kleinen Park gegenüber, fahren die Busse nach Guanabo ab. Auf der anderen Seite hängt an der Ecke ein Plakat in einem vergitterten Fenster. Es ist ein Rechteck aus Plastik, und die Buchstaben sind klein und rot:
     
    Leiden Sie an Angst, Depressionen,
    Beklemmung, Einsamkeit?
     
    DIE ANONYMEN ALKOHOLIKER
    helfen Ihnen weiter
    Erneuerungsgruppe
    Montag, Mittwoch, Freitag 19 Uhr
    Sonntag 11 Uhr
     
    Sie sind jederzeit willkommen
     
    Die Räumlichkeiten sind winzig. Vielleicht erreichen die hier 0,5 Prozent der Saufköpfe im Viertel. Angst, Depressionen, Beklemmung, Einsamkeit. Ein Bus fährt vor, und wir steigen ein, acht oder zehn Leute. Es ist früh. Es sind wenig Menschen unterwegs. Mir gegenüber nehmen zwei junge Schwarze Platz, prächtige, dralle Weiber mit großen Titten und prallen Ärschen. Verdammt, sind die scharf! Sie kleiden sich wie Zwillinge: blaue Bodies aus glitzerndem Lycra, hauteng und mit tiefem Ausschnitt, der einen Gutteil ihrer saftigen Titten sehen lässt. Herrlich! Die beste Landschaft der Welt. Sie ziehen schon frühmorgens los, um sich ein paar Touristen zu angeln. Ein paar gut betuchte yumas. Vierundzwanzig-Stunden-Service. Neben ihnen nimmt eine Weiße Platz. Na ja, was man so weiß nennt. Heutzutage ist ja nicht mehr so klar, wer weiß oder schwarz oder sonst was ist. Ich meine, eine blasse, hellhäutige Frau. Mit zwei Söhnen um die vier oder fünf. Allesamt vor Schmutz starrend, mit zerlumpten Klamotten. Die Armut zerfrisst ihnen die Eingeweide und quillt ihnen aus den Poren raus. Die Frau setzt sich hin, und die Jungs klettern allein auf die Bank. Jeder setzt sich auf eine Seite. Die Frau ist wie abwesend. Die Jungs das genaue Gegenteil. Über die Maßen unruhig und nervös. Sie schreit sie an:
    »Das reicht jetzt! Hört endlich auf zu nerven, verdammte Scheiße!«
    Si e beachten sie überhaupt nicht. Wie es aussieht, haben sie seit Tagen nicht geduscht, sie sind wirklich ziemlich verdreckt. Eine von den drallen Schwarzen stellt ihre Tasche auf den Sitz, um zu verhindern, dass die beiden ihr zu nahe rücken. Am Ende haben sie noch Flöhe. Die vor Schmutz starrende Frau hat die Handgelenke verbunden. Manchmal zupft sie an dem Verband und besieht sich die Wunden, auf der Innenseite. Der Mull und das Pflaster sind dreckverschmiert. Anscheinend hat man sie vor Tagen versorgt, und sie hat den Verband nicht gewechselt. Während der Fahrt wiederholt sie die Geste mehrmals. Sie sieht sich abwechselnd die eine und die andere Wunde an. Ganz verstohlen. Ich trage eine Kappe und eine dunkle Brille. Ich beobachte sie und die zwei schönen Schwarzen. Der Bus muss am Hafen entlang und dann an Regla und Guanabacoa vorbei zur Via Bianca. Er hält ständig an, um Fahrgäste aufzunehmen. Es ist eine lange, beschwerliche Fahrt. Fast eine Stunde, in der ich die Selbstmörderin und die Touristen-Anglerinnen betrachte. Die Jungs sind eingeschlafen, aber ohne sich bei der Mutter anzulehnen. Jeder auf
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