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Kein bisschen Liebe

Kein bisschen Liebe

Titel: Kein bisschen Liebe
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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bitten darf.«
    »Gib ihm halt eine Krankenschwester mit. Du hast doch zwei hier.«
    »Behalten Sie Ihre Ratschläge für sich. Ich weiß selbst, was ich zu tun habe.«
    »Ja ja, nur ist schon sieben und ihr habt gleich Schichtende, und da kommt das natürlich ungelegen.«
    »Also erlauben Sie mal …«
    »Ich erlaube gar nichts. Das ist ein eklatanter Mangel an Berufsethik. Sie sind für die Sache zuständig, also ziehen Sie mich nicht mit hinein, sonst zeige ich Sie an wegen Verstoß gegen Ihre Standesregeln.«
    Mit diesem Angriff hatte der Arzt nicht gerechnet. Auf einmal war er ganz still. Ich verpasste ihm noch einen Leberhaken:
    »Jetzt bleibe ich wirklich da und warte, bis der Klinikdirektor kommt. Die Sache kläre ich mit ihm persönlich. Ich rühre mich nicht von der Stelle.«
    Die beiden Krankenschwestern sahen erschrocken drein. Der Arzt sagte zu mir:
    »Also gut, regen Sie sich nicht auf. Wir kümmern uns um die Angelegenheit. Sie können gehen.«
    »Ja, ich gehe, aber um acht bin ich wieder da und rede mit dem Klinikdirektor. Das lasse ich nicht auf sich beruhen.«
    Keiner sagte mehr etwas, auch der Polizist nicht. Und ich ging fischen. Natürlich kam ich nicht zurück, um mit dem Direktor oder sonst wem zu sprechen.
    Ein paar Tage vergingen, bis ich den Saufkopf wieder sah. Rasiert, in sauberer Kleidung, die Hand verbunden. Er saß am Bordstein und rauchte. Er schien nüchtern zu sein. Ich ging zu ihm:
    »Was macht die Hand?«
    »Tut ziemlich weh.«
    »Kennst du mich nicht mehr?«
    »Nein.«
    »Ich habe dich hier aufgesammelt und in die Poliklinik gebracht. Die Ärzte sagen, das waren die Ratten.«
    »Haben sie mir auch gesagt.«
    Wir fielen in Schweigen. Es gab nichts weiter zu reden. Ich bemerkte, dass er innen am linken Unterarm ein paar Ziffern eintätowiert hatte. Sie waren ziemlich groß und reichten vom Ellenbogen bis zum Handgelenk: 10-8-94.
    »Na dann, Vorsicht mit den Ratten. Dass sie dich nicht noch mal beißen.«
    Dazu lächelte ich. Der Typ sah mich nicht an und lächelte nicht. Ich ging fischen. Der Hurrikan Michelle hatte den Strand verwüstet. Er hatte den gesamten Sand bis an die Kokospalmen geweht. Am Ufer blieben nur Steine, Betonüberreste vom früheren Kai und felsiger Untergrund. Etwa zwanzig Goldsucher staksten und buddelten im Sand herum. Einige Silbermünzen waren aufgetaucht. Von wegen Goldschmuck. Nichts als Silbermünzen, die seit vierzig Jahren nicht mehr im Umlauf waren. Hunderte davon. Es war eine langweilige, ungewisse Plackerei. Viele Stunden im Wasser, abgebrochene Bretter an den Füßen, den Blick auf mögliche Fundstücke geheftet. Zähe Burschen waren das. Zum Glück hatte ich die Zeiten hinter mir. Ich hatte es nicht mehr nötig, mir mit irgendwelchen miesen Jobs meine täglichen vier Pesos zu verdienen. Jetzt recherchierte ich für einen Kriminalroman mit etlichen brutalen Morden, bescheuerten Polizisten und professionellen, widerwärtigen Killern.
    Wieder vergingen einige Tage, ohne dass ich den Saufkopf gesehen hätte. Eines Abends, es war schon fast dunkel, hatte ich ein paar intus und saß unter einer Kokospalme am Ufer. Ich sah aufs Meer hinaus. Ein starker Wind blies, und es gab hohe Wellen. Das Wasser verfärbte sich dunkel, und die Sonne ging rasch unter. Ich dachte an ein Buch, einen Ratgeber, den ich damals las. Darin hieß es, mit Übung könne man seinen Zorn beherrschen und schließlich ganz ausschalten. Das klang überzeugend. Ich musste es versuchen. Ich konnte nicht weiter so jähzornig sein und kaputtschlagen, was mir in die Finger kam. Ständig schlug ich wild um mich, um mir Luft zu schaffen.
    Im Flachmann war noch ein wenig Rum. Ich stand auf und machte mich auf den Heimweg. Ich kam an der verlassenen Strandbar vorbei. Hinten an der Wand lehnte der Säufer. Ich sah eine kleine Tür und einen Verschlag. Dort hatte der Typ eine Matratze, eine Glühbirne, ein paar Schachteln und Stoffetzen. Er hockte neben der Tür und tätowierte sich etwas in den linken Unterarm, unterhalb der Ziffern. Ich hob die Hand und ging zu ihm.
    »Na, wie läuft’s, mein Freund?«
    Er sah mich an, grüßte aber nicht zurück. Er tätowierte sich weiter den Arm mit einer Nadel und schwarzer Tinte aus der Mine eines abgebrochenen Kugelschreibers. Der Verband an seiner Hand war derselbe wie beim letzten Mal, nur dreckig und blutverschmiert.
    »Was machst du da?«
    »Siehst du doch, oder?«
    »Weißt du nicht mehr, wer ich bin?«
    Wieder sah er mich an. Er war besoffen. Er
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