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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
Autoren: Michael Ondaatje
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hinterließen die Teller, Messer und Löffel unserer stibitzten Mahlzeiten im Rettungsboot und schlichen in die Touristenklasse zurück. Irgendwann entdeckte ein Steward bei einer Sicherheitsübung, in deren Verlauf die Rettungsboote bemannt und zu Wasser gelassen wurden, die Spuren unserer zahlreichen Frühstücke, und eine Zeitlang ließ der Kapitän das Schiff nach einem blinden Passagier absuchen.
    Es war noch nicht einmal acht Uhr, wenn wir die Grenze zwischen erster Klasse und Touristenklasse zurück überquerten. Wir taten so, als müssten wir schwanken, wenn das Schiff schlingerte. Ich hatte inzwischen Gefallen an dem langsamen Walzerrhythmus gefunden, in dem unser Schiff hin und her schaukelte. Und dass ich mir selbst überlassen war, wenn man von der fernen Flavia Prins und der fernen Emily absah, bedeutete bereits ein Abenteuer. Ich hatte keine Verpflichtungen. Ich konnte gehen, wohin ich wollte, tun, was ich wollte. Und Ramadhin, Cassius und ich hatten bereits eine Regel aufgestellt: Jeden Tag mussten wir mindestens ein Verbot übertreten. Der Tag hatte gerade erst begonnen, und wir hatten noch stundenlang Zeit, diese Aufgabe zu erfüllen.

 
     
     
    ALS MEINE ELTERN IHRE EHE AUFGABEN , räumten sie es nicht offen ein und erklärten auch nichts, aber sie machten auch kein Geheimnis daraus. Sie behandelten die Sache eher wie einen Fehltritt als wie einen Autounfall. Ich bin mir deshalb nicht sicher, wieweit ich von der Scheidung meiner Eltern gezeichnet worden sein könnte. Ein Junge geht morgens zur Tür hinaus und wird sich wieder der entstehenden Landkarte seines Lebens widmen. Dennoch war es eine Jugend voller Gefahren.
    Als kleiner Internatsschüler am St. Thomas’ College in Mount Lavinia liebte ich das Schwimmen. Ich liebte alles, was mit Wasser zu tun hatte. Auf dem Schulgrundstück gab es einen betonierten Kanal, durch den zur Monsunzeit das Hochwasser schoss. Dieser Kanal wurde zum Schauplatz eines Spiels, an dem sich einige Internatsschüler beteiligten. Wir sprangen hinein und ließen uns von der Strömung mitreißen, Hals über Kopf, hin und her geworfen. Fünfzig Meter weiter vorn hing ein graues Seil herab, an dem wir uns festhielten und hochzogen. Und zwanzig Meter nach dem Seil verschwand der Kanal mit dem reißenden Wasser unter der Erde und setzte seinen Weg in der Finsternis fort. Wo er endete, haben wir nie erfahren.
    Vielleicht waren es vier von uns, die sich immer wieder in den Kanal stürzten, einer nach dem anderen, mit dem Kopf knapp über der Wasseroberfläche. Es war ein nervenaufreibendes Spiel, das Seil zu packen, hochzuklettern und in dem prasselnden Regen zurückzurennen, um wieder hineinzuspringen. Bei einem Durchgang geriet ich mit dem Kopf unter Wasser und tauchte nicht rechtzeitig auf, um das Seil zu fassen. Meine Hand ragte in die Luft, mehr nicht, während ich dem unterirdischen Tunnel entgegenschoss. Es war der mir vorherbestimmte Tod an jenem Nachmittag in Mount Lavinia während des Märzmonsuns, von einem Astrologen geweissagt. Ich war neun Jahre alt und stand im Begriff, eine blinde Reise in unterirdische Finsternis zu machen. Eine Hand erfasste meinen Arm, den ich noch immer erhoben hielt, und ein älterer Schüler zog mich aus dem Wasser. Er schimpfte, aber nicht sehr nachdrücklich, und dann lief er im Regen weg, ohne sich darum zu kümmern, ob wir gehorchten. Wer war er? Danke, hätte ich sagen sollen. Aber ich lag keuchend und durchnässt im Gras.
    Was für ein Junge war ich in jenen Tagen? Ich erinnere mich an keinen äußeren Eindruck und somit an keine Wahrnehmung meiner selbst. Müsste ich ein Foto von mir aus meiner Kindheit erfinden, wäre es das eines barfüßigen Jungen in Shorts und Baumwollhemd, der mit ein paar Freunden aus dem Dorf an der bemoosten Mauer entlangläuft, die Haus und Garten in Boralesgamuwa von dem Verkehr auf der High Level Road trennte. Oder ein Bild von mir allein, der ich auf die anderen warte, vom Haus zu der staubigen Straße blicke.
    Wer kann sich vorstellen, wie zufrieden wilde Kinder sind? Sobald ich zur Tür hinaus war, hatte die Familie keinerlei Einfluss mehr. Obwohl wir sicherlich versucht haben, die Welt der Erwachsenen zu begreifen und zusammenzusetzen, uns gefragt haben, was dort vor sich ging und warum. Doch sobald wir die Gangway zur Oronsay betreten hatten, befanden wir uns zum erstenmal zwangsläufig auf engstem Raum mit Erwachsenen zusammen.

Mazappa
    MR. MAZAPPA SCHLEICHT SICH AN , als ich gerade einem
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