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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
Autoren: Michael Ondaatje
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grellgelbe Kabinenlicht durch ein gedämpftes blaues Licht ersetzt. Und während ich in den Halbschlaf hinüberglitt, wurden Drinks eingeschenkt, Rubber gewonnen, Geld wechselte den Besitzer, und in dem blauen Licht sahen die Männer aus, als säßen sie in einem Aquarium. Wenn sie ihr Spiel beendet hatten, gingen alle vier an Deck, um eine Zigarette zu rauchen, und eine halbe Stunde später kam Mr. Hastie leise in die Kabine zurück, um noch ein wenig zu lesen, bevor er sein Kojenlicht löschte.

 
     
     
    FÜR EINEN JUNGEN , der sich mit seinen Freunden treffen will, ist der Schlaf ein Gefängnis. Die Nacht konnte nicht schnell genug vorbei sein, und wir waren vor Sonnenaufgang auf den Beinen. Wir konnten es kaum erwarten, dieses Universum weiter zu erkunden. Ich lag in meiner Koje und hörte Ramadhins leises Klopfen in codiertem Rhythmus an der Tür. Eigentlich ein sinnloser Code – wer sonst hätte um diese Zeit klopfen sollen? Zwei Klopfer, lange Pause, ein dritter Klopfer. Wenn ich nicht aus der Koje kletterte und die Tür öffnete, hörte ich als nächstes sein gekünsteltes Hüsteln. Und wenn ich dann immer noch nicht reagierte, hörte ich ihn »Mynah« flüstern. Das war mein neuer Spitzname.
    Cassius trafen wir an der Treppe, und dann wanderten wir barfuß auf dem Deck der ersten Klasse herum. Um sechs Uhr morgens war die erste Klasse ein unbewachter Palast, und wir fanden uns dort ein, bevor die erste Lunte von Licht sich am Horizont abzeichnete und sogar noch bevor die Nachtbeleuchtung an Deck bei Tagesanbruch blinkte und sich automatisch abschaltete. Wir zogen unsere Hemden aus und tauchten wie Nadeln in das golden gestrichene Erste-Klasse-Schwimmbecken, fast ohne einen Spritzer. Die Stille gehörte wesentlich dazu, wenn wir im Dämmerlicht des frühen Morgens unsere Bahnen zogen.
    Konnten wir eine Stunde lang unentdeckt bleiben, hatten wir die Chance, den gedeckten Frühstückstisch auf dem Sonnendeck zu plündern, Essen auf Teller zu häufen und uns mit der Silberschale der Kondensmilch zu verdrücken, die so dick war, dass der Löffel aufrecht darin steckenblieb. Dann kletterten wir in eines der erhöht befestigten Rettungsboote, in dem wir uns wie in einem Zelt vorkamen, und verzehrten die unredlich erlangte Mahlzeit. Eines Morgens holte Cassius eine Gold-Leaf-Zigarette hervor, die er in einem Salon gefunden hatte, und zeigte uns, wie man richtig raucht.
    Ramadhin lehnte höflich ab wegen seines Asthmaleidens, das uns und den anderen Gästen am Katzentisch bereits aufgefallen war. (Wie es auch später auffällig bleiben sollte, als ich ihn einige Jahre darauf in London wiedersah. Wir waren dreizehn oder vierzehn, als wir uns wiederbegegneten, nachdem wir einander aus den Augen verloren hatten, weil wir damit beschäftigt waren, uns an ein fremdes Land zu gewöhnen. Auch damals, als ich ihn und seine Schwester Massoumeh bei seinen Eltern besuchte, erwischte ihn jeder Husten, jede Erkältung, die in der Nachbarschaft umgingen. Wir freundeten uns in England ein zweites Mal an, hatten uns mittlerweile aber verändert, waren nicht mehr unberührt von der Wirklichkeit des Lebens. Und in gewisser Weise war ich in jenen Tagen vertrauter mit seiner Schwester, denn Massi begleitete uns immer auf unseren Ausflügen durch den Süden Londons – zum Herne-Hill-Velodrom, zum Ritzy-Kino in Brixton und zum Kaufhaus Bon Marché, wo wir wie im Delirium die Lebensmittel- und die Kleidungsregale entlangrasten. An manchen Nachmittagen saßen Massi und ich auf dem kleinen Sofa in ihrem elterlichen Haus in Mill Hill, tasteten nach einander und betasteten einander unter der Decke, während wir so taten, als sähen wir der endlosen Golfsendung im Fernsehen zu. Eines Morgens kam sie in aller Frühe in das Zimmer im Obergeschoss, in dem Ramadhin und ich schliefen, und setzte sich an den Rand meines Betts, einen Finger vor den Lippen, um mich zum Schweigen zu ermahnen. Ramadhin schlief in seinem Bett, wenige Meter entfernt. Ich richtete mich auf, doch sie schob mich mit ausgestreckter Hand weg, und dann knöpfte sie ihr Pyjamaoberteil auf und zeigte mir ihre jungen Brüste, die im Widerschein der Bäume vor dem Fenster beinahe blassgrün aussahen. In den Augenblicken darauf lauschte ich auf Ramadhins Husten, auf das Rasseln, mit dem er sich im Schlaf räusperte, während Massi – halbnackt, furchtsam und furchtlos – mich mit den Empfindungen ansah, die eine solche Geste begleiten, wenn man dreizehn ist.)
    Wir
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