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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
Autoren: Michael Ondaatje
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in der Schulklinik herumlümmeln unter dem Vorwand, Mumps zu haben, eine der Schulbadewannen für alle Zeiten verschmutzen, indem man Tintenkugeln im Wasser auflöste, um Tinte für die höheren Jahrgänge herzustellen). Unser schlimmster Peiniger war der Aufseher der jüngeren Schüler, Pater Barnabus, der meine Erinnerung heute noch heimsucht im Verein mit seiner Lieblingswaffe, einem langen, zersplitterten Bambusrohr. Er argumentierte nicht, begründete nichts, war nur immer unheildrohend präsent.
    Auf der Oronsay hatte man die Möglichkeit, aller Ordnung zu entkommen. Und ich definierte mich neu in dieser scheinbar imaginären Welt mit ihren Schiffsabwrackern und Schneidern und ihren erwachsenen Passagieren, die bei den abendlichen Festlichkeiten mit riesigen Tierköpfen umherstolperten, wo manche der Frauen in ganz kurzen Röcken tanzten, während das Schiffsorchester inklusive Mr. Mazappa auf seinem Podest spielte, alle in den gleichen pflaumenblauen Anzügen.

 
     
     
    SPÄT AM ABEND , nachdem die eigens ausgewählten Passagiere der ersten Klasse den Tisch des Kapitäns verlassen hatten und die letzten Paare auf der Tanzfläche ihre Masken abgenommen hatten und in fast regloser Umarmung verharrten und nachdem die Stewards die verlassenen Gläser und Aschenbecher abgeräumt hatten und auf den über einen Meter breiten Besen lehnten, mit denen sie die bunten Papierschlangen aufkehren würden, wurde der Gefangene herausgebracht.
    Es war meistens vor Mitternacht. Das Deck leuchtete im Mondlicht eines wolkenlosen Himmels. Er erschien mit seinen Wärtern; an den einen war er angekettet, der andere ging mit einem Schlagstock hinter ihm. Wir wussten nicht, was für ein Verbrechen er begangen hatte. Wir dachten uns, es könne nur ein Mord gewesen sein. Von etwas Komplizierterem wie einem Verbrechen aus Leidenschaft oder politischem Verrat machten wir uns damals keine Vorstellung. Er wirkte kraftvoll und unerschrocken und war barfuß.
    Cassius hatte herausgefunden, dass der Gefangene zu dieser späten Stunde ausgeführt wurde, und wir drei waren oft zur Stelle, wenn es soweit war. Er könnte, stellten wir uns vor, zusammen mit dem Wärter, der an ihn gekettet war, in das dunkle Meer springen. Wir stellten uns vor, wie er so in den Tod lief und sprang. Ich nehme an, dass wir uns das so vorstellten, weil wir jung waren und allein die Vorstellung einer Kette , die Vorstellung, festgehalten zu sein, für uns etwas Erstickendes hatte. In unserem Alter konnten wir so einen Gedanken nicht ertragen. Wir brachten es fast nicht über uns, Sandalen zu tragen, um zum Essen zu gehen, und jeden Abend, wenn wir an unserem Tisch im Speisesaal saßen, stellten wir uns vor, dass der Gefangene barfuß in seiner Zelle Essensreste von einem Metalltablett aß.

 
     
     
    MAN HATTE MIR EINGESCHÄRFT , anständig gekleidet zu erscheinen, wenn ich den mit Teppichboden ausgelegten Salon in der ersten Klasse betrat, wo ich Flavia Prins besuchen sollte. Sie hatte zwar versprochen, während der Reise ein Auge auf mich zu haben, aber tatsächlich sahen wir einander nur wenige Male. Nun war ich von ihr zum Nachmittagstee eingeladen, und ihre Einladung wies darauf hin, dass ich ein sauberes und gebügeltes Hemd und Socken in den Schuhen zu tragen hätte. Ich ging pünktlich um vier Uhr nachmittags zu der Veranda-Bar hinauf.
    Sie beäugte mich, als befände ich mich am anderen Ende eines Teleskops, und war sich offenkundig nicht im klaren darüber, dass ich ihr Mienenspiel entziffern konnte. Sie saß an einem kleinen Tisch. Dann bemühte sie sich angestrengt, ein Gespräch mit mir zu führen, was meine einsilbigen nervösen Antworten nicht erleichterten. Gefiel mir die Reise? Hatte ich einen Freund gefunden?
    Zwei, sagte ich. Einen Jungen namens Cassius und einen namens Ramadhin.
    »Ramadhin … Ist das der moslemische Junge aus der Kricketfamilie?«
    Ich sagte, das wisse ich nicht, aber ich wolle ihn fragen. Mein Ramadhin machte nicht den Eindruck, als würde er sich sportlich hervortun. Er liebte Süßigkeiten und Kondensmilch. Bei diesem Gedanken steckte ich eine Handvoll Kekse ein, während Mrs. Prins die Aufmerksamkeit des Kellners auf sich zu lenken versuchte.
    »Ich kenne deinen Vater noch aus der Zeit, als er ein junger Mann war …« sagte sie, ohne den Satz zu beenden. Ich nickte, aber sie sagte nichts weiter über ihn.
    »Tante«, sagte ich, nunmehr nicht mehr im ungewissen darüber, wie ich sie anzureden hätte, »wissen Sie über den
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