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Die Würfel Gottes

Titel: Die Würfel Gottes
Autoren: Mark Alpert
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EINS
    H ans Walther Kleinman, einer der großen theoretischen Physiker unserer Zeit, ertrank in seiner Badewanne. Ein Fremder mit langen, sehnigen Armen drückte Hans’ Schultern nach unten.
    Obwohl das Wasser nur dreißig Zentimeter tief war, verhinderten die Arme, dass Hans seinen Kopf über die Wasseroberfläche hob. Er verkrallte sich in die Hände des Fremden und versuchte dessen Griff zu lockern, aber der Mann war bärenstark, ein junger brutaler Kerl, und Hans war neunundsiebzig Jahre alt, hatte Arthritis und ein schwaches Herz. Er schlug hilflos um sich, trat innen gegen die Badewanne, und das Wasser schwappte wie wild um ihn herum. Er konnte seinen Angreifer nicht richtig sehen – das Gesicht des Mannes war ein undeutlicher verschwommener Fleck. Er musste durch das offene Fenster an der Feuertreppe in die Wohnung geklettert und dann ins Badezimmer geeilt sein, als er begriff, dass Hans drinnen war.
    Während Hans um sein Leben kämpfte, fühlte er, wie der Druck in seiner Brust zunahm. Das begann direkt unter dem Brustbein und füllte im Nu seinen ganzen Brustkorb. Ein Druck, der von allen Seiten nach innen ging und seine Lunge lahmlegte. Innerhalb von Sekunden stieg er ihm in den Hals, eine heiße, zuschnürende Enge, sodass er den Mund aufmachen musste. Als ihm lauwarmes Wasser in die Kehle drang, wurde aus Hans eine Kreatur reiner Panik, ein sich windendes, zappelndes Tier, das seine letzten Zuckungen durchmacht. Nein, nein, nein, nein, nein, nein! Dann lag
er still da, und als sein Blickfeld verblasste, sah er nur noch die kleinen Wellen an der Oberfläche, die sich wenige Zentimeter über ihm kräuselten. Eine Fourier-Reihe, dachte er. Und so schön.
    Aber das war nicht das Ende, noch nicht. Als Hans das Bewusstsein wiedererlangte, lag er mit dem Gesicht nach unten auf dem kalten Fliesenboden, hustete und spuckte Badewasser aus. Seine Augen brannten, ihm drehte sich der Magen um, und jeder Atemzug war ein qualvolles Keuchen. Wieder lebendig zu werden war tatsächlich schmerzhafter als Sterben. Dann spürte er einen harten Schlag in den Rücken direkt zwischen die Schulterblätter und hörte, wie jemand mit fröhlicher Stimme sagte: »Zeit zum Aufwachen.«
    Der Fremde packte ihn an den Ellbogen und drehte ihn herum. Hans’ Hinterkopf schlug gegen die nassen Fliesen. Er atmete immer noch keuchend und schaute zu seinem Angreifer hoch, der auf dem Badezimmerteppich kniete. Ein großer Mann, der mindestens hundert Kilo wog. Seine Schultermuskeln wölbten sich unter dem schwarzen T-Shirt, die Tarnanzugshose war in schwarze Lederstiefel gestopft. Ein kahler Kopf, der verglichen mit seinem Körper unverhältnismäßig klein wirkte, mit schwarzen Stoppeln auf den Wangen und einer grauen Narbe am Unterkiefer. Höchstwahrscheinlich ein Junkie, vermutete Hans. Nachdem er mich umgebracht hat, nimmt er die Bude auseinander und sucht nach meinen Wertsachen. Erst dann wird der Idiot begreifen, dass ich keinen gottverdammten Cent besitze.
    Der Mann dehnte seine dünnen Lippen zu einem Lächeln. »Jetzt unterhalten wir uns ein bisschen, ja? Sie können mich Simon nennen, wenn Sie wollen.«
    Simons Stimme hatte einen ungewöhnlichen Akzent, den Hans nicht sofort identifizieren konnte. Seine Augen waren klein und braun, seine Nase krumm, und seine Haut hatte die Farbe eines verwitterten Ziegelsteins. Seine Gesichtszüge
waren hässlich, aber nicht eindeutig zuzuordnen – er konnte Spanier, Russe, Türke, beinahe alles sein.
    »Was wollen Sie?«, wollte Hans sagen, aber als er den Mund aufmachte, musste er nur wieder würgen.
    Simon wirkte amüsiert. »Ja, ja, es tut mir leid. Aber ich musste Ihnen zeigen, dass ich es ernst meine. Und das macht man besser ganz zu Anfang, nicht?«
    Merkwürdigerweise hatte Hans jetzt keine Angst mehr. Er hatte bereits akzeptiert, dass dieser Mann ihn umbringen würde. Was ihn irritierte, war seine unglaubliche Unverschämtheit: Er hörte nicht auf zu lächeln, während Hans nackt vor ihm auf dem Boden lag. Es schien klar zu sein, was als Nächstes geschehen würde: Simon würde ihn auffordern, ihm die Geheimzahl seiner Scheckkarte zu verraten. Einer Nachbarin von Hans war das Gleiche widerfahren, einer Frau von zweiundachtzig Jahren, die jemand in ihrer Wohnung überfallen und geschlagen hatte, bis sie ihre Geheimzahl preisgab. Nein, Hans hatte keine Angst – er war wütend! Er hustete die letzten Tropfen Badewasser aus seiner Luftröhre und stützte sich auf die Ellbogen. »Diesmal
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