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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
Autoren: Michael Ondaatje
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Betrug oder seine allzu große Liebe zu einer Frau zurückging.
     
    Every month, the changing of the moon.
    I say, every month, the changing of the moon
    The blood comes rushing from the bitch’s womb.
     
    Der Vers, den Mazappa an jenem Nachmittag sang, hatte etwas Überirdisches und Unvergessliches, unabhängig von der etwaigen Wortbedeutung. Wir hörten ihn nur dieses eine Mal, aber er blieb in unserem Inneren haften wie eine unerbittlich harte Wahrheit, von der wir uns damals wie später abzuwenden versuchten. Die Zeilen (von Jelly Roll Morton, wie ich später feststellte) waren kugelsicher und wasserdicht. Aber das wussten wir damals nicht, so verstört waren wir von ihrer Unverblümtheit – von den Wörtern der letzten Zeile mit ihrem überraschenden und verhängnisvollen Rhythmus, knapp und kompakt nach der Wiederholung der Eröffnung. Wir verschwanden aus dem Tanzsaal, als wir uns unversehens der Stewards bewusst wurden, die Leitern erklommen, um den Saal für die abendliche Tanzveranstaltung zu schmücken, farbige Scheinwerfer einrichteten und die Bögen aus Kreppapier anbrachten, die den Saal durchkreuzen würden. Sie schüttelten die großen weißen Tischtücher auseinander, um die Holztische damit zu decken. In die Mitte jedes Tischs stellten sie eine Vase mit Blumen, damit die Atmosphäre im Saal kultiviert und romantisch wirkte. Mr. Mazappa ging nicht mit uns. Er blieb am Klavier sitzen, den Blick auf die Tasten gerichtet, ohne die Maskerade zu beachten, die um ihn herum stattfand. Wir wussten, dass das, was er abends mit dem Orchester spielen würde, nicht das sein würde, was er gerade für uns gespielt hatte.

 
     
     
    MAX MAZAPPAS BÜHNENNAME – oder, wie er es nannte, sein »Kampfname« – war Sunny Meadows. Er hatte ihn sich zugelegt, nachdem sein Name auf den Plakaten für seinen Auftritt in Paris falsch geschrieben gewesen war. Vielleicht hatte die Konzertagentur den levantinischen Klang seines Namens vermeiden wollen. In den Schiffsmeldungen der Oronsay , in denen seine Klavierstunden angeboten wurden, hieß er ebenfalls »Sunny Meadows, Meisterpianist«. Aber am Katzentisch war er Mazappa, denn Begriffe wie sonnig oder Wiese waren mit seinem Charakter nur schwer zu vereinbaren. Er strahlte weder Optimismus noch Gepflegtheit aus. Doch seine leidenschaftliche Liebe zur Musik brachte Leben an unseren Tisch. Ein ganzes Mittagessen hindurch gab er die Geschichte des Duells von »Le Grand Bechet« zum besten, das 1928 in Paris in den frühen Morgenstunden zu einem Pistolengefecht ausgeartet war, als Bechet auf McKendrick feuerte, die Kugel den Borsalino des Kontrahenten streifte und weiterflog, bis sie sich in den Oberschenkel einer Französin bohrte, die auf dem Weg zur Arbeit war. Mr. Mazappa stellte mit Salz- und Pfefferstreuern alles nach und benutzte ein Stück Käse, um die Flugbahn des Geschosses zu verdeutlichen.
    Eines Nachmittags lud er mich zum Plattenhören in seine Kabine ein. Er erzählte mir, dass Bechet Albert-System-Klarinetten gespielt habe, weil sie einen strengen und vollen Klang erzeugten. »Streng und voll«, wiederholte er mehrmals. Er legte eine 78er auf, und während die Musik spielte, machte er mich flüsternd auf die unglaublichen Diskanttöne und Renommierstücke aufmerksam. »Merkst du, wie er die Töne rausschüttelt ?« Ich verstand gar nichts, aber ich war voller Ehrfurcht. Jedesmal wenn Bechet die Melodie anspielte, machte Mazappa mich darauf aufmerksam; ich weiß noch, dass er sagte: »Wie Sonnenschein auf einem Waldboden.« Er suchte in einem bleichsüchtigen Koffer, holte ein Notizbuch heraus und las mir vor, was Bechet einem Schüler gesagt hatte. »Ich gebe Ihnen heute eine einzige Note als Aufgabe« , hatte er gesagt. »Finden Sie heraus, auf wie viele verschiedene Weisen Sie den Ton spielen können – ihn knurren, verwischen, quetschen, schärfen, was immer Sie wollen. Es ist wie sprechen.«
    Dann erzählte Mazappa mir von dem Hund. »Er kam immer mit Bechet auf die Bühne und knurrte, wenn sein Herrchen spielte … Und deshalb hat Bechet sich mit Duke Ellington verkracht. Der Duke wollte Goola nicht auf der Bühne haben, im Scheinwerferlicht, wo er seinem weißen Anzug die Schau gestohlen hätte.« Wegen Goola spielte Bechet nicht mehr mit Ellington und eröffnete den Southern Tailor Shop, eine Reinigung und Flickschneiderei und daneben ein Treffpunkt für Musiker. »Das war die Zeit seiner besten Aufnahmen – ›Black Stick‹ oder ›Sweetie
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