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Katzensprung

Katzensprung

Titel: Katzensprung
Autoren: Christiane Gibiec
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lauter Beklemmung schon wieder mehr als
üblich. »Der sieht nicht aus wie eine Mumie. Ist das eine Jeans, die er da
trägt? Eine Fünfnulleins von Levi’s? … Mann, ich muss schnellstens hier raus!«
    Sie ging zu eilig aus der Hocke, sah erneut Sterne und taumelte zwei
Schritte rückwärts. Kürten befand sich auf der anderen Seite der Leiche, daher
konnte er Hanna nicht schnell genug zu Hilfe eilen, bevor sie in ein Regal
knallte.
    Eine Menge Staub und Mörtel rieselten auf sie hernieder, dann traf
sie ein schweres, in Leder eingebundenes Buch an der Schulter, bevor es auf den
Boden fiel und auseinanderbrach.
    »Meine Güte, passen Sie doch auf!«, hörte Hanna eine vorwurfsvolle
Männerstimme in feinem rheinischem Singsang.
    Da ihr Kreislauf immer noch ein Feuerwerk in Schwarz-Weiß vor ihren
Augen abfackelte, konnte sie den Entrüsteten nicht richtig erkennen. Sie machte
einen Schritt zur Seite und trat auf das am Boden liegende Buch, stolperte und
wäre fast gefallen. Doch dieses Mal war Kürten zur Stelle.
    »Jetzt trampeln Sie nicht auch noch auf dem Folianten herum! Dieses
Buch ist unersetzbar! Das ist eine Originalausgabe von Wilhelm Fabry!«
    »Wer ist der Mann?«, stöhnte Hanna, als sie sich berappelt und
endlich freie Sicht hatte. Der Mann trug einen hellen dreiteiligen Anzug mit
Weste. Er wirkte in diesem Keller seltsam fehl am Platz.
    »Wilhelm Fabry war ein Hildener Arzt aus dem sechzehnten
Jahrhundert«, antwortete Kürten.
    »Nein, nein, er war Chirurg«, fuhr der Anzugträger herrisch
dazwischen. »Man bezeichnet Fabry heute sogar als den Mitbegründer der modernen
Chirurgie.«
    »Er war Arzt, sag ich doch«, beharrte Kürten.
    »Aber er hat nie an einer Universität studiert und war nicht im
Besitz einer Approbation. Damals wurde die Chirurgie als Handwerk betrachtet
und der Zunft der Bader und Barbiere überlassen.«
    »Operieren, rasieren und Haare schneiden?«, fragte Kürten.
    »Wenn Sie so wollen, ja.« Der Mann im Anzug grinste nun heiter.
»Während Fabrys Zeit praktizierten studierte Ärzte, die sich allerdings nur um
innere Krankheiten der Bevölkerung kümmerten. Für die Versorgung von Wunden,
für das Schröpfen, den Aderlass und Amputationen waren Chirurgen wie Wilhelm
Fabry zuständig.«
    »Werner, wer ist dieser Mann?«, präzisierte Hanna ihre Frage ungeduldig. In
einem etwas schärferen Ton.
    »Ich wusste, ihr würdet euch auf Anhieb verstehen«, sagte Kürten
leise zu ihr. Dann fuhr er lauter fort und wurde offiziell: »Darf ich bekannt
machen? Hauptkommissarin Hanna Broder, das ist Professor Doktor Holger Heckel.«
    Eine feingliedrige Hand mit dünnen, spinnengleich langen Fingern
wurde ihr entgegengestreckt. »Lassen Sie den ›Doktor‹ ruhig weg. Aber latschen
Sie bitte nicht mehr auf den Büchern herum, ja?«
    Hanna betrachtete den schmächtigen Mann im dreiteiligen Anzug
schweigend, ohne seine Hand zu nehmen. Hätte sie sich entscheiden müssen, was
ihr weniger gefiel, die irgendwie schnüffelnd anmutenden, mausigen Gesichtszüge
des bebrillten Männleins oder sein sandfarbener Anzug in Kombination mit dem
hellblau und weiß gestreiften Brokerhemd und der roten Fliege – die Wahl wäre
ihr wirklich schwergefallen.
    »Professor Doktor Heckel wird uns in diesem Fall unterstützen.«
    So was haben wir früher auf dem Schulhof immer verprügelt, dachte
sie, verkniff es sich jedoch, den Gedanken laut auszusprechen. Stattdessen
machte sie einen anderen Fehler und unterbrach Kürtens Vorstellungslitanei mit
dem Spruch, den der Bursche ganz offensichtlich nicht zum ersten Mal hörte.
    Sie sagte in einem leicht arroganten Tonfall über Heckels Kopf zu
Kürten: »Professor? Doktor? Das Kerlchen ist doch noch nicht mal trocken hinter
den Ohren.«
    Offensichtlich hatte das Doktormännchen eine ziemlich kurze
Zündschnur. Holger »Lassen-Sie-den-Doktor-weg« Heckel sprühte in feinem
Speichel Gift und Galle durch den Keller, den Hanna nicht nur aus diesem Grund
so schnell wie möglich verließ.
    Wieder an der Erdoberfläche, atmete sie befreit auf und blinzelte in
die Sonne. Kürten folgte ihr ins Freie und wuschelte sich den feinen Mörtel aus
den Haaren.
    »Wieso grinst du so blöd?«, fragte Hanna, als sich die Staubwolke um
Kürten gelegt hatte.
    »Ich frage mich, wie du das mit dem Professor wieder hinbekommst«,
antwortete Kürten.
    Das Grinsen wollte einfach nicht aus seinem Gesicht verschwinden.
    »Ich glaube nicht, dass ich mich eines Fehltritts schuldig gemacht
habe.
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