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Katzensprung

Katzensprung

Titel: Katzensprung
Autoren: Christiane Gibiec
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wie ein
gigantischer Sandkasten. Drei Winter zuvor hatte die zugereiste Hanna die
Schalterhalle des Geldinstitutes mit den groß gemusterten, abgelebten
Teppichböden während einer Ermittlung zum ersten Mal betreten. Nun lag das
Gebäude in sortiertem Schutt und penibel weggeräumter Asche. Bis auf …
    »Das verdammte Treppenhaus steht ja immer noch!«, sagte Hanna
düster.
    Obwohl sie sich dem zweistöckigen Betonquader, dem Moniereisen wie
nachlässig abgetrennte Schlagadern aus dem Baukörper ragten, von der anderen
Seite her näherten, hatte sich Hanna das Bild einer gekreuzigten Frau für immer
in ihr Gedächtnis eingebrannt.
    Es war einer der brutalen Morde des Mannes gewesen, der am Morgen
auf dem Weg zu seinem Gerichtsverfahren erschossen worden war.
    »Wir können das Ding noch nicht abreißen«, sagte Kürten.
    »Wegen dem Mord an Sally Abani?«, fragte Hanna leise.
    Der Gedanke an die blutige Spur der Kreuzigung auf der anderen Seite
des Quaders jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Sie wollte nicht an
diesem Ort sein. Sie musste endlich von den Taten und Tatorten des Mannes, der
sie gequält, verfolgt und mit dem Tode bedroht hatte, Abstand gewinnen – und
wollte nicht. unmittelbar nachdem sie auf den Treppenstufen zum Gericht mit
dessen Blut an den Händen zurechtkommen musste, erneut mit Striebek und seinem
Wahnsinn konfrontiert werden.
    Eine kleine Verschnaufpause, mehr will ich ja gar nicht, dachte
Hanna, während sie neben Kürten auf den letzten Betonklotz der Hildener
Sparkasse zustapfte.
    »Müssen wir auf die grausige Seite?«, fragte sie.
    Kürten schüttelte eilig den Kopf, als ob er diese Frage von Hanna
erwartet hätte.
    »Keine Sorge. Du bist wegen einer anderen Sache hier.«
    Hanna sah Kürten ungläubig an. Der nickte, schob Hanna über eine
Stahlplanke und bog in ausreichendem Abstand vor dem Betonklotz rechts ab.
    In Anlehnung an den Film »2001: Odyssee im Weltraum«, einen ihrer
Lieblingsfilme, hatte Hanna den Betonquader insgeheim mit der Bezeichnung
»gruseliger Monolith« bedacht. Sie war froh, die blutverkrustete Seite, an der
Striebek das Opfer hatte ausbluten lassen, nicht noch einmal ansehen zu müssen.
    »Bauarbeiter haben beim Ausheben der Grube für den Neubau der
Sparkasse eine Entdeckung gemacht.«
    »Was denn?«
    »Bitte, hier hinunter.« Kürten flüsterte fast und ließ Hanna den
Vortritt.
    * * *
    Man hatte eine provisorische Falltür aus Bauholzplatten und
Scharnieren gebaut, die bereits unter der Feuchtigkeit zu rosten begannen. Die
große Klappe stand weit offen, doch als Hanna die ersten Schritte auf der
sandigen Treppe gemacht hatte, wurde es schon nach wenigen Schritten dunkel.
Sie hörte Kürtens Stimme:
    »Das Bauamt, das Amt für Denkmalschutz, alle haben sich hier schon
auf den Füßen gestanden. Du weißt ja, wie die bürokratischen Mühlen mahlen …«
    Hanna hatte Mühe, ihre vom hellen Mittagslicht geblendeten Augen dem
fahlen Schein der auf Stativen stehenden Scheinwerfer anzupassen. Daher fühlte
sie den glatten, ausgetretenen Stein der letzten acht Stufen eher, als dass sie
ihn sehen konnte. Die Wände schienen aus uralten Ziegelsteinen zu bestehen. Erst
langsam gewöhnte sie sich an die Dunkelheit. Leider zu spät, um einem
Spinnennetz auszuweichen, das sich in ihren Haaren verfing.
    »Wieso erinnert mich das bloß an meinen letzten Besuch in der
Geisterbahn?«, dachte sie laut nach.
    »Warte, ich gehe vor«, bot Kürten an. »Ich war schon ein paar Mal
hier unten. Die Denkmalschützer haben mit Archäologen zuerst diesen Gang
freigelegt. Der war komplett verschüttet.«
    »Wenn mich nicht alles täuscht, sollten sich hier Tresorräume oder
die Tiefgarage befinden. Und nicht Graf Draculas letzte Ruhestätte, oder?«
    »Pass auf deinen Kopf auf«, riet Kürten ihr, als sie unten
angekommen waren.
    Hanna sah sich in einem Gewölbekeller um. Anderthalb mal drei Meter
groß und nicht ganz hoch genug, dass sie aufrecht darin stehen konnte. Kürten,
der fast zwei Meter groß war, musste sich wie der Glöckner von Notre-Dame
krümmen und stieß dennoch an die gewölbte Decke. Er ging im Krebsgang zum Ende
des Raums. Dabei streifte er sich latexfreie Einmalhandschuhe über und reichte
Hanna ebenfalls ein Paar.
    »Ist das wirklich nötig?«, fragte Hanna und sah Kürten ungläubig an.
    »Ja, ist es. Du wirst schon sehen«, antwortete er und öffnete eine
schwere Holztür mit vom Alter geschwärzten Eisenbeschlägen. Die Tür gab
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