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Katzensprung

Katzensprung

Titel: Katzensprung
Autoren: Christiane Gibiec
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damit du leben mögest
    Auf Wilhelm Fabrys Grabstein in Bern

 
    Hanna Broder war merkwürdig
gelassen für jemanden, der fünf Pistolenschüsse auf einen anderen Menschen
hatte ertragen müssen. Sie fühlte sich erlöst.
    Den gewaltsamen Tod eines
Menschen mitzuerleben, und sei es ein überführter mehrfacher Mörder auf dem Weg
zum Gericht, ist ein einschneidendes Erlebnis. Das wusste Hanna aus
Erfahrungen, die sie im Laufe der Dienstzeit am eigenen Leib gemacht hatte.
Erst als die Hauptkommissarin den Hasseler Forst Richtung Hilden durchquerte
und die Stadtgrenze von Düsseldorf hinter sich ließ, atmete sie tief durch.
    Konnte ich etwas dafür? Hätte
ich es verhindern müssen? Nein. Für dieses Schuldgefühl bin ich definitiv nicht
katholisch genug, dachte sie und öffnete das Fenster des dunkelblauen Opel
Astra, den sie als Dienstwagen so leidenschaftlich verabscheute, wie man eine
Sache nur hassen konnte. Kalte Luft fuhr ihr ins Haar und verwirbelte den Staub
unzähliger Kollegen aus Teppichen und Polstern.
    Wieso macht mir Striebeks Tod
nichts aus? Bin ich so abgebrüht? Oder kommt der Schock erst noch? Hanna fühlte
kein Mitleid mit dem Täter, der ihren Exmann als Geisel genommen und sowohl ihn
als auch Hanna und den Kollegen Cocker fast getötet hatte. Sie durchsuchte ihr
übermüdetes und überfordertes Gehirn nach Gefühlen, die sie nun bewegten.
Keines davon hatte mit Genugtuung zu tun.
    Die feuchte Waldluft roch
würzig. Hanna ließ die Scheibe des Beifahrerfensters ebenfalls ganz in der Tür
verschwinden. Der plötzliche Temperaturabfall würde sie wieder munter machen
und auf andere Gedanken bringen, hoffte sie.
    Vielleicht bin ich einfach nur
erleichtert, dass Striebek endlich weg ist, dachte sie. Endgültig weg. Dieser
Gedanke beunruhigte Hanna. Sie gab Gas, während sie auf der Lehne des
Beifahrersitzes ein langes blondes Haar entdeckte. Ohne sich lange mit der
Frage zu beschäftigen, von welcher Kollegin es sein konnte, klopfte sie mit der
rechten Hand fest auf die Rückenlehne unterhalb des Haars. Eine beeindruckende
Wolke aus Staub und undefinierbaren Kleinteilen wirbelte auf und wurde vom Wind
aus dem Wagen gerissen.
    Das gibt’s ja nicht, dachte Hanna.
Sie war fasziniert, wie schmutzig der Wagen war, und hieb erneut auf die Lehne. Eine zweite, nicht
minder starke Wolke verteilte sich innerhalb von Sekunden in der Luft.
    Wahnsinn.
    Hanna schlug noch drei viermal
auf die Polster des Beifahrersitzes. Auf die Frage, ob sie wirklich nur vom
Dreck fasziniert war und den Staub aus dem Stoff schlagen oder einem imaginären
Gegner Schläge verpassen wollte, kam sie nicht. Ihr Telefon klingelte. Sie
fummelte ihr iPhone aus der Lederjacke und erkannte den Anrufer als Werner
Kürten, einen der Dienstgruppenleiter in der Hildener Polizeiinspektion Mitte.
Gerade als sie das Telefon ans Ohr hielt, blitzte es rot.
    »Scheiße!«, rief Hanna.
    »Das beschreibt meine Situation
hier vor Ort ganz gut«, antwortete die Stimme aus dem Telefon. Kürten klang
extrem genervt. »Meuser latscht mir auf den Füßen herum, und ich stehe immer
noch ohne dich auf dem Gelände der Sparkasse! Wo bleibst du?«
    »Sorry, ich bin gerade geblitzt
worden.« Hanna folgte einer Eingebung und dichtete diese Tatsache zu einer
improvisierten Begründung um: »Weil ich es so eilig habe, zu euch zu kommen.«
    Vor sich sah sie, wie jemand auf
ihre Fahrspur trat und mit einer Kelle zum Anhalten winkte. Offensichtlich ein
männlicher Schutzpolizist, jedoch ohne die erforderliche Dienstmütze, fiel
Hanna auf.
    »Wo bist du genau?«, wollte
Kürten wissen.
    »Hasseler Forst. Sag den
Kollegen, dass ich es eilig habe«, verlangte Hanna.
    Sie legte das iPhone auf den
Beifahrersitz. Das vermaledeite blonde Haar klebte immer noch an der Lehne. Sie
griff sich das Blaulicht vom Armaturenbrett und setzte es auf das Dach des
blauen Astra. Die Zeit reichte leider nicht mehr, es noch einzuschalten, denn
sie raste bereits bedrohlich schnell auf den Polizisten zu.
    Hanna wechselte auf die
Gegenfahrbahn, die zum Glück völlig frei war. Doch anstatt in Deckung zu gehen
oder an den Straßenrand zu treten, wie es jeder vernünftige Mensch tun würde,
hielt der Beamte die Kelle wie ein Kruzifix vor sich und trat auf Hannas
Fahrspur, als wolle er einen Vampir bremsen. In letzter Sekunde riss Hanna das
Steuer herum und raste schleudernd und recht knapp auf der rechten Seite an dem
Polizisten vorbei.
    Das Letzte, was sie sah, waren
die weit aufgerissenen
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