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Karl der Dicke & Genossen

Karl der Dicke & Genossen

Titel: Karl der Dicke & Genossen
Autoren: Werner Schrader
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vor deinen Füßen dahin und singt ein ergreifendes Liebeslied.“
    „Ich kenne aber gar keine Liebeslieder“, unterbrach ihn Rolf.
    „Dann singst du ,Auf einem Baum ein Kuckuck’ oder so was, darauf kommt es nicht an“, sagte Karl. „Die Hauptsache ist, daß du der schönen Burgfrau was vorsingst. Der edle Gaul knabbert inzwischen an dem Burgefeu herum. Das verheiratete Fräulein nimmt, durch die süßen Worte aufs innigste gerührt, eine Rose aus seinem Haar und wirft sie dem Sänger huldvoll zu.
    In diesem Augenblick erscheint, schweißbedeckt und von den Strapazen des langen Kreuzzuges ermattet, der Burgherr. Er sieht die Rose fallen, bedeckt sein Gesicht gramvoll mit den zerschundenen Händen und fordert dann den Minnesänger zum Zweikampf in die Schranken. Wenn dessen Blut die Kampfbahn rötet, schlägt er auch seiner Frau den treulosen Kopf ab und macht es sich dann auf der Burg so richtig gemütlich.“
    „Jaja“, sagte Egon spöttisch. „Er brät den edlen Hengst am Spieß, legt die müden Füße auf einen Hocker und spielt die Schicksalsmelodie auf der Silberharfe.“
    Guddel verlor vor Lachen das Gleichgewicht und fiel rücklings in den Burggraben. Er rappelte sich auf und sagte, immer noch glucksend: „Da erscheint in der Nacht das ihm angetraute Burgfräulein, trägt in der einen Hand den Kopf, in der andern einen leeren Teller und sagt: ,Gib mir bitte auch ein Stück ab vom Leichenschmaus, am liebsten Lende oder Nacken’.“
    „Genau!“ rief Egon. „Darauf fällt der Burgherr erst in Ohnmacht und dann in den Burggraben. Weil er nicht schwimmen kann, ersäuft er, und das Spiel ist aus. Meint ihr nicht, daß das ein ziemlich doofes Spiel ist?“
    „Warum?“ verteidigte sich Karl. „Das bringt doch wenigstens Leben in die Bude.“
    „Leben ist gut“, sagte Egon, „wenn du sie alle niedergemetzelt hast!“
    Rolf hatte auch großen Spaß an Karls Spielvorschlag gehabt. Jetzt sagte er: „Wißt ihr eigentlich, daß die Brüder Grimm auf der Sababurg die gesammelten Märchen aufgeschrieben haben? Vielleicht können wir das spielen?“
    Egon guckte den Kleinen groß an.
    „Wie stellst du dir das vor?“ fragte er. „Sollen sich da zwei Mann hinsetzen und immer irgendwas schreiben? Das ist aber nicht sehr bühnenwirksam, du.“
    Da schaltete sich Guddel ein.
    „Ich glaube, Rolf meint das anders“, sagte er. „Die Brüder zogen doch erst durch das Land und sammelten die Märchen. Sie fragten die Großmütter am Kamin und die Kinder auf der Straße nach den Geschichten, die sie kannten. Das könnten wir doch spielen. Rolf und ich sind die Brüder Grimm, und ihr beide seid die alten tatterigen Großmütter, zahnlos, aber mit goldenem Herzen. Ihr erzählt uns die Geschichten, und wir schreiben sie dann in der Burg auf.“
    „Gut“, rief Egon. „Ich setze mich hier auf den Hauklotz und stricke ein Paar warme Socken für meinen erkälteten Mann. Um mich herum die blühende Kinderschar, dargestellt von Karl. Los, Karl, hänge dich an meine Lippen, es geht los!“
    Karl legte sich auf den Bauch und stützte den Kopf in die Hände.
    „Jetzt kommen die grimmigen Brüder zur Tür herein. Los, kommt rein!“
    Guddel und Rolf standen auf, klopften an einen Balken und warteten. Egon verstellte seine Stimme und fragte großmütterlich heiser: „O Waldemar, wer klopfet zu so später
    Stunde an unsere bescheidene Hütte? Ist es ein müder Wanderer oder ein finsterer Räuber?“
    Karl, auch als blühende Kinderschar recht bequem, antwortete: „Keine Ahnung, Omi. Vielleicht ist es der Oheim oder Gevatter Sebaldus.“
    Guddel trat einen Schritt näher.
    „Gott zum Gruße, Mütterchen“, sagte er. „Wir sind die Professoren Grimm und auf der Suche nach Märchen und Sagen. Haben Sie wohl die Güte, meinem Bruder und mir das eine oder andere zu erzählen?“
    „Ei freilich, ei freilich“, antwortete Egon. „Zwar ist mir das eine entfallen, das andere aber verzähl’ ich fürtrefflich. Nehmt Platz, hochgelahrte Herren.“
    Guddel und Rolf setzten sich auf die Burgmauer.
    „So höret denn die gar traurige Geschichte von dem armen Wolf, der pilzesuchend seines Weges wandelte und selbigen Abends schon auf dem Sterbebette verdämmerte.
    Es war an einem milden Sommertage, als das vegetarische Tier Pfifferlinge in sein Körbchen sammelte, um sie seinen siebzehn hungrigen Kindern als karges Mittagbrot zu servieren. Da näherte sich ihm ein widerliches rothaariges Mädchen, eine diebische Straßengöre,
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