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Karl der Dicke beißt sich durch

Karl der Dicke beißt sich durch

Titel: Karl der Dicke beißt sich durch
Autoren: Werner Schrader
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„Verkaufen kannst du, Karl, wirklich. Das solltest du zu deinem Beruf machen. Unverfroren wie du bist, hast du es darin in zwei Jahren sicherlich zum Millionär gebracht.“
    „Wenn nicht schon in einem“, rief Karl. „Aber jetzt halt die Klappe, da kommt eine Oma, die unbedingt unsere geschmackvollen Gemälde kaufen möchte. Bitte, junge Frau“, sprach er die etwa siebzigjährige Dame an, „treten Sie ungeniert näher, und erstehen Sie eines dieser unvergleichlichen Kunstwerke! Ein hiesiger Maler hat sie geschaffen, bevor er in blühendem Alter von achtundachtzig Jahren leider viel zu früh verstarb. Sehen Sie nur den Strich seines begabten Pinsels auf diesem Blumenbild! Ist es nicht gerade so, als spränge Ihnen der Duft der schwellenden Rosen wohltuend in die Nase? Und hier der junge Mann, der auf dem Rücken liegt und den reizenden Schäfchen in der Runde heitere Frühlingsliedchen in die Lauscher trällert: Meinen Sie nicht, die Klänge wahrhaftig zu vernehmen? Und dann der Engel auf diesem Bild, ein Alterswerk des Künstlers! Man möchte seinen Flügel anfassen, nicht wahr? So echt wirkt er, direkt aus dem Leben gegriffen.“
    Die alte Dame schien beeindruckt. Sie nickte mehrmals zu Karls sachverständigen Ausführungen und zeigte nun auf das vierte Bild, das neben dem Sofa stand.
    „Was kannst du mir über die Frau da erzählen?“ fragte sie. „Das ist ja wohl eine Zigeunerin?“
    „Ja und nein!“ rief Karl. „Es handelt sich zwar um eine Zigeunerin, aber nicht um irgendeine, sondern um die berühmte Tänzerin Ildijko Sajgo, was an dem goldenen Ohrring mit dem Pferdekopf unschwer zu erkennen ist. Das Bild ist etwas ganz Besonderes, liebe Frau, weil es solche Ohrringe heutzutage gar nicht mehr gibt!“
    Die alte Dame lächelte.
    „Hm“, sagte sie, „ich glaube dir natürlich kein Wort, von dem, was du gesagt hast. Die Bilder sind billige Drucke und nichts wert.“
    „Aber hören Sie mal“, rief Karl, „wie können Sie das behaupten?“
    „Ich bin Malerin“, erklärte die Frau, „Kunstmalerin, verstehst du?
    Und ich habe in meinem Leben schon mehr Bilder gemalt, als du gesehen hast.“
    Lächelnd weidete sie sich an Karls erstauntem Gesicht. „Ich bin nicht gekommen, um dir eins dieser scheußlichen Machwerke abzukaufen, sondern um zu hören, wie du sie anpreist. Und ich muß zugeben, du machst es großartig. Es wird dir bestimmt gelingen, für alle einen Käufer zu finden. Das aber ist schlimm, mein Junge, sehr schlimm! Der Gedanke, daß dieser Kitsch bald bei irgendeinem Unverständigen im Zimmer hängen und für große Kunst gehalten werden könnte, bereitet mir Unbehagen. Darum sei so lieb, und überlaß mir die Bilder, alle vier. Ich werde sie mit nach Hause nehmen und verbrennen.“
    „Also, jetzt hakt’s aber bei mir aus!“ rief Karl empört. „Das soll doch wohl nicht Ihr Ernst sein?“
    „Doch“, sagte die Dame, „es ist mein voller Ernst. Noch lieber wäre es mir freilich, wenn du die Bilder hier vor meinen Augen vernichten würdest, dann brauchte ich mich nicht damit abzuschleppen.“
    Karl schnappte nach Luft und sah sich nach Guddel und Egon um, die ihn bei der Abwicklung dieses Geschäftes bisher nicht unterstützt hatten.
    „Habt ihr das gehört, Freunde?“ fragte er. „Hier soll ein ehrlicher hanseatischer Kaufmann und Kunstkenner ruiniert werden!“
    „Aber, aber“, sagte die Frau, „übertreib nicht! Ich bezahle dich natürlich für die Mühe, die du dir mit dem Zerreißen oder Zerschneiden der Bilder machst. Für jedes gebe ich dir fünf Mark, ist das recht?“
    Zwei Minuten später warf Karl die Reste des Engels, der tanzenden Zigeunerin, der Rosen und des Flötenbläsers in einen der aufgestellten Abfallkübel, und Egon konnte zwanzig Mark in die Kasse legen. „So eine putzige Kruke ist mir noch nicht über den Weg gestolpert“, sagte Karl kopfschüttelnd. „Die hat ja ‘nen echten Hammer!“
    Zur Abwechslung sang Egon mal wieder sein Schreibmaschinenlied, und danach ließ Guddel sein allumfassendes Gedicht hören, während die Verkaufskanone Karl sich aufmachte, um von Könneckes Würstchenbude eine Kleinigkeit zur Erheiterung des Magens zu erstehen. Da trat ein noch recht junger Mann mit einem Bart wie Sauerkraut im Gesicht an den Stand heran, ging um die Sessel und das Sofa herum, betastete den Plüsch, prüfte auch die hölzernen Lehnen, ob sie nicht wurmstichig wären, und sagte endlich: „Hundert Mark für beide Sessel und das Sofa,
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